Neue Achillesferse im Stoffwechsel: Um gegen multiresistente Keime vorzugehen, greifen Forscher in den Synthesezyklus des Vitamin B1 ein. Ihre Experimente zeigen, dass ein computerassistiertes Wirkstoffdesign heute das Mittel der Wahl ist.
Antibiotikaresistenzen werden zum wachsenden Gesundheitsproblem weltweit. Oft lassen sich Methicillin-resistente Staphylococcus aureus-Stämme (MRSA) nur noch mit Reservewirkstoffen bekämpfen. Auch diese Waffen werden langsam stumpf. Hinzu kommt, dass MRSA mittlerweile jenseits von Krankenhäusern auftreten. Die Gefahr wächst. Forscher versuchen deshalb, Pharmaka mit grundlegend neuen Wirkprinzipien zu entwickeln. Ein vielversprechender Ansatz kommt vom Deutsches Elektronen-Synchrotron (DESY) in Hamburg.
Professor Dr. Christian Betzel von der Universität Hamburg und Professor Dr. Carsten Wrenger von der Universität São Paulo haben gezeigt, dass sich Enzyme des Vitamin-B1-Zyklus von Staphylokokken als Zielstrukturen für neue, innovative Antibiotika eignen könnten. Bakterien müssen Thiamin selbst herstellen. Wird dieser Stoffwechselweg durch ein synthetisches Molekül beeinflusst, das dem natürlichen Substrat ähnlich ist, gehen Bakterien zu Grunde. Molekülmodell des ThiM-Trimers. Bild: Christian Betzel/Universität Hamburg Von der Idee zur Umsetzung: Am DESY haben Betzel und Wrenger die Struktur eines zentralen Enzyms im Vitamin-B1-Stoffwechsel identifiziert. Die Kinase ThiM bildet ein Trimer. Dieser Komplex hat drei aktive Zentren. Anschließend designten Chemiker am Computer leicht veränderte Substrate mit deutlich höherer Affinität als das natürliche Substrat. Keime produzieren - sollte die Strategie aufgehen - plötzlich ein völlig nutzloses Derivat des Vitamins , und Bakterien gehen ohne das Stoffwechselprodukt ein.
Warum diese spezielle Art der Intervention eine Möglichkeit darstellt, Resistenzen zu vermeiden, erklärt Christian Betzel: „Klassische Wirkstoffe blockieren eine bestimmte Funktion des Bakteriums. Dann kann das Bakterium einen Weg um die Blockade herum entwickeln und wird dadurch resistent gegen diesen Wirkstoff.“ Diese Gefahr sieht der Wissenschaftler beim neuen Prinzip nicht. Zur Synthese von essentiellen Stoffen wie Vitamin B1 haben Bakterien keine Alternative.
Nach der theoretischen Arbeit am Computer ging es in die Praxis. Von zwölf Wirkstoffkandidaten haben sich drei als vielversprechend erwiesen. Die Stoffe werden jetzt in Zellkulturen geprüft. Ob die Experimente tatsächlich zu einem neuen Pharmakon führen, lässt sich noch nicht sagen. Sorgen macht sich deshalb niemand, dem strukturbasierten Wirkstoffdesign sei Dank. Das Verfahren spart nicht nur Zeit und Geld, sondern macht zu Beginn eines Projekts viele Tierexperimente überflüssig.