Bei Schlafstörungen kommen häufig Benzodiazepine zum Einsatz. Manche wirken so stark, dass Menschen nach der Einnahme nicht einmal laute Geräusche wie etwa einen Feueralarm wahrnehmen. Ein neues Hypnotikum soll es ermöglichen, bei Gefahrsignalen früher aufzuwachen.
Auch während des Schlafs verarbeitet unser Gehirn Sinneseindrücke und weckt uns, wenn es eine Bedrohung wahrnimmt. Die Wahrscheinlichkeit, in solchen Fällen aufzuwachen, ist bei einer Einnahme von Benzodiazepinen allerdings verringert. „Benzodiazepine stimulieren den GABA-A-Rezeptor, der uns schläfrig macht, supprimieren aber auch benachbarte Hirnareale. Dazu gehört der ‚Torwächter‘, der entscheidet, welcher Input verarbeitet wird“, erklärt Seniorautor Tomoyuki Kuwaki der Kagoshima University. Der Schwellwert, der durch Sinnesreize erreicht werden muss, um in das Großhirn vorzudringen, ist im Schlafmodus höher als im Wachzustand. Benzodiazepine beeinträchtigen diesen Schwellwert ebenfalls. So können kurzwirksame Benzodiazepine wie Triazolam die Fähigkeit von Menschen verschlechtern, während eines Feueralarms aufzuwachen, wie vergangene Studien zeigen.
Ausgehend von diesem Wissen verglich eine japanische Forschergruppe im Rahmen ihres kürzlich veröffentlichten Trials die Wirkung von Benzodiazepinen und einer neuen Hypnotika-Klasse: In den letzten Jahren wird an dualen Orexin-Rezeptor-Antagonisten, den sogenannten DORAs, geforscht. Sie sind dazu in der Lage, gezielter auf jene Pfade einzuwirken, die beim Einschlafen und Wachwerden des Gehirns beteiligt sind. Dadurch entstehen laut Studienautoren Vorteile verglichen mit der Einnahme von Benzodiazepinen: Der „Hangover-Effekt“ ist niedriger, wodurch die Fahrtüchtigkeit am Tag nach der Einnahme von DORAs weniger beeinträchtigt ist.
Die Hypothese von Kuwaki und seinen Kollegen: Durch diese gezieltere Wirkweise sei auch die Wahrscheinlichkeit, bei Gefahrensituationen aufzuwachen, bei einer Einnahme von DORAs höher als bei herkömmlichen Sedativa. Denn der von Kuwaki beschriebene Torwächter sei deutlich wachsamer.
Das Team entschied sich deshalb dazu, DORA-22, den dualen Orexin-Rezeptor-Antagonist-22, im Mausmodell anzuwenden. Den Mäusen wurden Schlafmittel nach Einbruch der Dunkelheit verabreicht, wenn sie eigentlich am aktivsten sind. Eine Gruppe erhielt DORA-22, Gruppe 2 wurde dem Benzodiazepin Triazolam ausgesetzt. Die dritte Gruppe diente als Kontrollgruppe und erhielt Placebos. Das Eregbnis: „DORA-22 und Triazolam hatten ähnliche schlaffördernde Effekte. Verglichen mit der Placebogruppe konnte hier die Schlafdauer um 30 bis 40 Prozent verlängert werden“, erklärt Kuwaki. Drei bis vier Stunden nach der Gabe wurden die schlafenden Mäuse einem bedrohlichen Stimulus ausgesetzt: einem Hochfrequenzton ähnlich einer Hundepfeife, dem Geruch eines Fuchses oder dem Beben ihres Käfigs, das der Situation eines Erdbebens entsprechen sollte.
Gemessen wurde die Latenz beim Erwachen nach Einsatz der jeweiligen Stimuli. Die auditive Stimulation dauerte 30 Sekunden, die Latenz bei der Kontrollgruppe, der DORA-Gruppe und der Triazolam-Gruppe betrug jeweils 3,0 (2,0–3,8), 3,5 (2,0–6,5), und 161 (117–267) Sekunden. Jene Mäuse, denen Placebo oder DORA-22 verabreicht worden war, wachten während der Stimulationsperiode binnen der 30 Sekunden auf, Mäuse der Triazolam-Gruppe erst nach Beendigung der Phase. Interessant ist auch ein Vergleich in Hinsicht auf die Zeitspanne, die die Mäuse benötigten, um nach dem Aufwachen wieder in den Schlafmodus zurückzukehren: Die Kontrollgruppe brauchte 148 (95–183) Sekunden, in der DORA-Gruppe waren es 70 (43–98), und in der Triazolam-Gruppe 60 (52–69) Sekunden. Die statistische Analyse basierend auf den Methoden des Friedman-Tests und Dunn's Post-hoc-Tests zeigten, dass verglichen mit der Kontrollgruppe die Latenz beim Aufwachen durch Triazolam deutlich verlängert wurde (p = 0.005), das gilt hingegen nicht für DORA-22 (p > 0.99).
Durch die Einnahme von DORA-22 entstanden auch keine Nachteile, was das erneute Einschlafen nach dem Stimulus betrifft: Die Latenz war sowohl in der DORA-Gruppe (p = 0.018) als auch in der Triazolam-Gruppe (p = 0.004) deutlich kürzer als in der Kontrollgruppe. Zu ähnlichen Ergebnissen kamen die Forscher auch beim vestibularen und olfaktorischen Stimulus.
Um zu beweisen, dass die Reaktionsverzögerung auf eine Bedrohung während einer Behandlung mit Triazolam tatsächlich auf die Unterdrückung des sensorischen Gatings im Gehirn zurückgeht, testeten die Forscher auch einen nicht-sensorischen Stimulus. „Die drei Gruppen wachten gleich schnell auf, wenn wir den Sauerstoffgehalt im Käfig reduzierten. Dies legt nahe, dass die durch Triazolam verursachte Verzögerung beim Aufwachen bei bedrohlichen Stimuli nicht durch eine generelle Unterdrückung des Wachsystems im Gehirn zu erklären ist“, sagt Kuwaki.
Im Gegensatz zu Triazolam, das seine Wirkung durch eine allosterische Bindung an den GABA-A-Rezeptor entfaltet und dabei das Zentralnervensystem größtenteils unterdrückt, wirkt DORA-22 laut Studienautoren gezielter. Klinische Studien stehen aus, um diese Hypothese zu bestätigen.
Seit 2014 kommt Surovexant, ein anderer Wirkstoff aus der Gruppe der Orexin-Rezeptor-Antagonisten, als Schlafmittel in Japan, den USA und Australien zum Einsatz. Hohe Kosten und limitierte klinische Studien zu Surovexant lassen allerdings Fragen zur Sicherheit und Wirksamkeit der Substanz offen. Eine Dosis, die hoch genug ist, um den Schlaf von Betroffenen tatsächlich zu verbessern, könnte zu Benommenheit am nächsten Tag führen, so die Bedenken von Experten. Die nun untersuchten neuen DORAs könnten eine Alternative sein, denn im Vergleich zu Suvorexant werden sie vom Körper schneller abgebaut.
Bildquelle: Wokandapix, pixabay