Hermann Gröhe will Verordnungen ohne persönlichen Kontakt unterbinden. Standesvertreter unterstützen ihn blindlings und erweisen Kollegen damit einen Bärendienst: Müssen Apotheker bald jedes Rezept auf Fernverordnungsverbote hin überprüfen?
Bäumchen, wechsle dich: Hermann Gröhe (CDU) präsentierte einen Regierungsentwurf zum Vierten Gesetz zur Änderung arzneimittelrechtlicher und anderer Vorschriften mit erstaunlichem Inhalt. Noch vor wenigen Wochen lobte der Bundesgesundheitsminister beim E-Health-Gesetz moderne Technologien in den höchsten Tönen: „Zur Förderung der Telemedizin wird die telekonsiliarische Befundbeurteilung von Röntgenaufnahmen ab April 2017 und die Online-Videosprechstunde ab Juli 2017 in die vertragsärztliche Versorgung aufgenommen werden.“ Ziel sei, Patienten die Kontaktaufnahme mit ihrem Arzt „deutlich [zu] erleichtern, gerade bei Nachsorge- und Kontrollterminen“. Jetzt rudert er in Teilen zurück – im Zuge eines „Lex DrEd“, wie böse Zungen behaupten.
„Es wird klargestellt, dass eine Abgabe von verschreibungspflichtigen Arzneimitteln grundsätzlich nicht erfolgen darf, wenn die Verschreibung offenkundig nicht nach einem direkten Arzt-Patienten-Kontakt ausgestellt wurde“, schreibt Gröhe. Als Grund führt er an, Ärzte sollten sich „von dem Zustand der Person überzeugen“. Die neue Regelung diene dazu, die Qualität der Versorgung zu sichern und Patienten vor Risiken durch falsche Pharmakotherapien zu bewahren. Apotheker stimmen begeistert zu und liefern Argumentationshilfen frei Haus, ohne sich der Konsequenzen bewusst zu sein. Screenshot: DocCheck
Die ABDA ergänzt in ihrer Stellungnahme: „Wir begrüßen die vorgesehene Regelung, durch die klargestellt wird, dass die Abgabe eines verschreibungspflichtigen Arzneimittels grundsätzlich nur auf eine Verschreibung erfolgen darf, die nach einem persönlichen Kontakt zwischen der verschreibenden Person und der Person, für die das Arzneimittel verschrieben wird, ausgestellt wurde.“ Unionsrechtlich gäbe es keine Bedenken. Nach Artikel 11 der Richtlinie 2011/24/EU seien ärztliche Verschreibungen aus anderen Mitgliedstaaten anzuerkennen, falls sie der Durchführungsrichtlinie 2012/52/EU entsprächen. Allerdings hätten Mitgliedsstaaten die Option, Einschränkungen aus Gründen des Gesundheitsschutzes zu machen.
Christian Buse, Vorsitzender Bundesverband Deutscher Versandapotheken (BVDVA), kann diese Äußerungen so nicht gelten lassen. In einer Stellungnahme seines Verbands heißt es: „Der vorgelegte Gesetzentwurf beabsichtigt, über das Heilmittelwerbegesetz jegliche Werbung für Telemedizin – die sogar durch das Berufsrecht der Ärzte weitestgehend gutgeheißen und befürwortet wird – als ‚Teleshopping‘ zu verbieten.“ Aus Sicht des BVDVA werde „ein guter Ansatz gleich wieder im Keim erstickt“. Telemedizinische Anwendungen bewertet Buse als „Kernelemente einer vernünftigen und wirtschaftlich dringend gebotenen Fortentwicklung des Gesundheitswesens“. Dazu gehören auch elektronische Rezepte. Gleichzeitig bemängeln Versandapotheker, das geplante Verbot der Fernbehandlung und -verschreibung widerspräche erklärten Regierungszielen zur wohnort- und patientennahen Versorgung. Ein Verbot widerspreche der „Jahrzehnte geübten Praxis der niedergelassenen Ärzte, telefonisch zu diagnostizieren und zu behandeln“. Buse sieht darin ein „geradezu patientenfeindliches und von Partikularinteressen geleitetes Denken“, das nicht zur Modernisierung des Gesundheitswesens beitrage. Folglich rechnen BVDVA-Vertreter mit stärkeren Belastungen niedergelassener Ärzte und mit längeren Wartezeiten für Patienten. In einem älteren Papier hatte der Verband zudem auf Probleme für Pharmazeuten hingewiesen. Hier fehle der „Maßstab der Erkennbarkeit“, ob tatsächlich persönliche Arzt-Patient-Kontakte stattgefunden hätten. „Die Überprüfung ist in keinem Fall primäre Aufgabe des Apothekers.“
Ob das von Hermann Gröhe angestrebte generelle Verbot einer europarechtlichen Prüfung standhält, ist ohnehin zweifelhaft. Die Patientenmobilitätsrichtlinie sieht vor, dass Mitgliedsstaaten Ausnahmen bei der grenzüberschreitenden Anerkennung von Arzneimittelverschreibungen geltend machen. Mit Argumenten des Gesundheitsschutzes könnten Regierungsvertreter allenfalls Verschreibungen bei riskanten Erkrankungen begründen, aber kein generelles Verbot aussprechen. Deshalb schlägt der Verbraucherzentrale Bundesverband vor: „Es ist notwendig, dass der Gesetzgeber klare Regeln aufstellt, nach denen in Deutschland telemedizinische Leistungen angeboten werden können.“ Verbraucherschützer sehen hier Qualifikations- und Behandlungsstandards für Anbieter. Manche Therapiebereiche wie akute Schmerzen oder die Gewichtsreduktion und bestimmte Zielgruppen wie Kinder, Jugendliche und Schwangere sollten ausgenommen werden, schreiben sie weiter. Jetzt warten Health Professionals gespannt, an welchen Stellen der Bundesgesundheitsminister nachbessern wird.