Ursprünglich als Anästhetikum entwickelt und später als Vergewaltigungsdroge zweckentfremdet, erlebt Ketamin eine Renaissance. Vom Arzneistoff profitieren Patienten mit nicht therapierbaren psychiatrischen Erkrankungen.
Ein Molekül mit Geschichte: Ketamin wurde im Jahr 1962 ursprünglich als Anästhetikum synthetisiert. Seit den 1970er-Jahren greifen Party People immer häufiger auf die Substanz zu, um einen schnellen Rausch zu erleben. Im europäischen Drogenbericht 2015 rangiert das Pharmakon nach Cannabis, MDMA, Kokain und Amphetamin an fünfter Stelle. Auch als Vergewaltigungsdroge hat sich das Molekül einen wenig rühmlichen Namen gemacht. Forschern ist es in letzter Zeit aber auch gelungen, die positive Seiten an Ketamin neu zu entdecken.
Rupert McShane aus Oxford verabreichte den Arzneistoff an 28 Patienten mit therapierefraktären schwersten Depressionen. Sein Ergebnis: Bei acht von ihnen (29 Prozent) zeigten sich überraschende Effekte – die psychische Erkrankung besserte sich innerhalb von Stunden oder sogar Minuten. Marktübliche Antidepressiva wirken erst binnen Tagen oder Wochen. Damit stellt Ketamin eine Alternative zur Elektrokrampftherapie dar und hat Potenziale zur Behandlung akuter Depressionen. Als Nachteil sieht McShane, dass die Behandlung regelmäßig wiederholt werden muss. Im Schnitt waren alle zwei Monate neue Gaben erforderlich.
Mittlerweile hat Tsvetan Serchov aus Freiburg Hinweise auf biochemische Mechanismen veröffentlicht. Ketamin stimuliert die Homer1a-Schaltstelle im präfrontalen Cortex sofort, während Imipramin an gleicher Stelle erst nach Wochen Effekte zeigt – ein entscheidender Vorteil. Homer1a hat regulatorische Aufgaben bei der Reizübertragung zwischen Nervenzellen. Blockierten Wissenschaftler diese Struktur im Tierexperiment, blieben entsprechende Effekte aus.
Doch wie kommt es zur schnellen Wirkung? Auf diese Frage fand Panos Zanos von der University of Maryland School of Medicine, Baltimore, eine überraschende Antwort. Er identifizierte (2R,6R)-Hydroxynorketamin, einen Metaboliten des Ketamins, als entscheidendes Molekül. Wurde der Abbau im Körper durch Enzyminhibitoren unterbunden, zeigte Ketamin keinen Effekt mehr. Erhielten Versuchstiere das reine Stoffwechselprodukt, reduzierten sich depressive Symptome. Der entscheidende Aspekt: Zanos beobachtete keine dissoziativen oder suchtauslösenden Effekte, die Ketamin in Verruf gebracht hatten. (2R,6R)-Hydroxynorketamin blockiert den N-Methyl-D-Aspartat-Rezeptor (NMDA-Rezeptor). Bislang hatten Wissenschaftler eine Wirkung auf den Glutamatrezeptor postuliert. Ob sich die Resultate von Nagern auf Menschen übertragen lassen, ist momentan noch fraglich.