Descensus genitalis ist ein häufiger Grund, weshalb Patientinnen eine gynäkologische Praxis aufsuchen. Spezielle ultraleichte Netze und Bänder sind seit einigen Jahren eine gute Alternative zu herkömmlichen Operationen. Wirksamkeit und Verträglichkeit sind besser als ihr Ruf.
Natürlicherweise sind Uterus und Vagina im kleinen Becken durch Faszien und Bänder in ihren anatomischen Strukturen verankert. Störfaktoren, wie Bindegewebsschwächen, schwere körperliche Tätigkeiten und erhöhte Beanspruchung während Schwangerschaft und Geburt, können im Laufe des Lebens zu einem Descensus führen. Für viele Frauen stellt dies eine körperliche und soziale Belastung dar. Sportliche Aktivitäten werden eingeschränkt, Reisen unterlassen oder Konflikte im Sexualleben sind die Folgen.
Netzimplantate sind eine Alternative
Da herkömmliche Descensusoperationen ein Rezidivrisiko von bis zu 30 Prozent haben, wurden in den letzten Jahren spezielle Netze und Bänder entwickelt, die besonders gewebeverträglich sind. Über einen vaginalen Zugang werden diese Netzimplantate aus Kunststoff an genau den Stellen angebracht, die besonders belastet sind. Dadurch wird die anatomische Lage von Uterus, Vagina, Harnblase und Darm wiederhergestellt. Eine abdominale Operation ist nicht nötig. Wichtig ist eine ausreichende vaginale Östrogenisierung. Nach einer postoperativen Erholungsphase sind alle körperlichen Aktivitäten wieder möglich.
Kontroverse Diskussion trotz guter Ergebnisse
Der Einsatz von Netzen wird trotz guter Ergebnisse immer noch kontrovers diskutiert. Mittlerweile sind Materialen und Operationstechniken soweit ausgereift, dass Komplikationsraten und Rezidive stark zurückgegangen sind. Eine Multicenter-Studie (November 2014 bis Juni 2016), die vom Ortenau Klinikum Offenburg initiiert wurde, soll dies belegen.
Es wurde eine operative Beckenbodenrekonstruktion im vorderen Kompartiment mit dem Polypropylen-Netz InGyNious® durchgeführt. Insgesamt wurden 277 Patientinnen in die Studie eingebracht. Alle Patientinnen hatten mindestens einen Descensus 2. Grades oder höher. Nach einem postoperativen 12-monatigen Intervall kamen 244 Patientinnen zur Auswertung. Befragt wurden die Patientinnen nach Lebensqualität und Komplikationen.
Intraoperative Komplikationen waren verstärkte Blutungen (>200ml) bei 15 Patientinnen, zwei Patientinnen erlitten eine Harnblasenverletzung. Postoperativ kam es bei zwei Patientinnen zum Nierenstau, eine Patientin gab ischialgiforme Schmerzen im Bein an, bei einer weiteren Patientin kam es zur Revisions-Operation nach Ureterverletzung. In 1,6 % der Fälle kam es zu Netzerosionen und 5,7 % der Frauen erlitten eine neuaufgetretene Belastungsinkontinenz. Was die Lebensqualität, insbesondere Sexualität und Partnerschaft betrifft, gaben doppelt so viele Frauen postoperativ keinerlei Beeinträchtigung an als präoperativ. Die Rezidivrate betrug weniger als 5 %. Die intra- und postoperative Komplikationsrate war äußerst niedrig.
Die Studie wurde jeweils im Oktober 2018 auf dem Kongress der Kontinenzgesellschaft in Stuttgart und dem Gynäkologenkongress in Berlin vorgestellt. In Berlin erhielt die Studie einen Vortragspreis.
Mein Fazit
Bei Neuentwicklungen erst einmal kritisch zu sein und Studien abzuwarten ist sinnvoll. Neue Therapieformen sind aber oft besser als ihr Ruf. Wichtig ist, wie bei allen anderen operativen Eingriffen, dass Indikation und Therapie aufeinander abgestimmt sind. Dafür stehen in Deutschland zertifizierte Beckenbodenzentren zur Verfügung. Patientinnen, die einen Leidendruck äußern und denen durch rezeptierte Beckenbodengymnastik nicht geholfen werden kann, sollten in einem Zentrum vorgestellt werden. Sie bekommen dort von Spezialisten eine individuelle Therapieform anschaulich erklärt und werden auch postoperativ bei Fragen weiter betreut. Gute Heilungsquoten, Beschwerdefreiheit und Rückkehr in die Normalität bestätigen dieses Vorgehen. Eine hohe Patientenzufriedenheit in unserer Praxis hat mich offen gemacht für vaginale Netze.
Ein Kommentar von Petra Brandt
Bildquelle: Dave Collier, flickr