Eine junge Mutter zieht sich immer mehr zurück. Sie spricht kaum noch und stillt ihr Kind nicht mehr. Die Symptome deuten auf eine Wochenbettdepression hin. Doch die ständigen Kopfschmerzen machen die Ärzte misstrauisch.
Eine 28-Jährige wird in die psychiatrische Ambulanz eingeliefert. Sechs Wochen zuvor hatte sie ein Kind zur Welt gebracht. In den vergangenen zwei Tagen habe die Patientin laut der Familie kaum gesprochen oder auf Fragen reagiert. Zudem habe sie das Stillen aufgrund mangelnder Laktation und starker Kopfschmerzen eingestellt.
Anamnese
Die Schmerzen sind vor sechs Tagen das erste Mal aufgetreten, kehren mehrmals täglich für zehn Minuten wieder und sind stets bilateral. Vorerkrankungen hat die junge Frau nicht, sie nimmt keine Medikamente. Die Patientin ist zeitlich desorientiert, zeigt eine erheblich beeinträchtigte Konzentrationsfähigkeit, ein eingeschränktes Langzeitgedächtnis und eine deutliche Affektverflachung. Eigen- oder Fremdgefährdung liegt nach Ansicht der Ärzte nicht vor.
Klassische Wochenbettdepression?
Obwohl ihnen der Verdacht einer postpartalen Depression als wahrscheinlich erscheint, machen die Kopfschmerzen die Psychiater misstrauisch und so konsultieren sie einen Neurologen. Die Differenzialdiagnose einer Sinusvenenthrombose kann zwar aufgrund negativer D-Dimere im Blut ausgeschlossen werden. Eine MRT-Untersuchung lehnt die Patientin jedoch ab.
Zwei Tage später weist die Frau eine rechtsseitige Hemiparese auf, daher werden schließlich doch MRT-Bilder erstellt. Der Ursprung der Verstimmungen wird hier deutlich sichtbar. Im linken Frontalhirn zeigt sich eine 6,5 cm x 5 cm große Masse, die eine Mittellinienverlagerung verursacht.
Nach der anschließenden OP identifizieren die Neuropathologen den Tumor als ein IDH-mutiertes Glioblastom.
Dies ist eine seltenere Form des Glioblastoms, auch „sekundäres Glioblastom“ genannt, die mit einer besseren Prognose einhergeht. Die mediane Überlebenszeit unter Therapie beträgt hier ungefähr 2,5 Jahre.
Unerwartet guter Verlauf
Bei der Patientin verläuft die Behandlung bisher erfolgreich. Zehn Tage nach der Operation kann sie ohne neurologische Defizite und in einer deutlich besseren psychischen Verfassung entlassen werden. Bei der jüngsten Nachuntersuchung liegt die OP nun fast drei Jahre zurück und es gibt bisher keine Anzeichen auf ein Wiederkehren des Tumors.
Ihren Bericht schließen die Ärzte mit der nachdrücklichen Empfehlung, auch bei dem klinischen Bild einer „Wochenbettdepression“ stets eine interdisziplinäre Behandlung unter Einbezug der neurologischen Kollegen zu befolgen.
Quelle: © Johannes Petzold et al. / Journal of Medical Case Reports / docc.hk/8ce5zy