Ist es die Elternzeit? Oder die Teilzeit? Eine oder beide sind die Schuldigen für den beruflichen Absturz. Die familienfeindlichen Strukturen in der Medizin müssen sich ändern. Kritiker mögen sagen: Ach ja, Eltern von heute, reißt euch mal zusammen. Aber eine aktuelle Studie bestätigt meine gefühlte Wahrheit.
Die internen Abteilungskonferenzen finden ab sofort am späten Nachmittag statt und dauern bis nach 19 Uhr. Die Teamabsprachen werden noch später eingeplant. Die Einladungen als Vertreter und Projektleiter bleiben aus. Wichtige Emails werden plötzlich nicht mehr weitergleitet und die spannenden Projekte an andere weitergegeben. Der Chef informiert einen, dass man sich nun auf massive Überstunden einstellen muss. Der Urlaub zu Hause in Elternzeit müsse schließlich aufgearbeitet werden, unentgeldlich versteht sich. Man muss am Ball bleiben. Die ansonsten bezahlten Fortbildungen während der Arbeitszeit sollen nun in der Freizeit und Eigenleistung statt finden. Man habe ja nun in Teilzeit viel mehr freie Zeit.
Vätern geht es nicht besser
Mein Mann ist frustriert und erschöpft. Die Welle an familienfeindlichen Strukturen, die ihm entgegen schlägt, ist ein Tsunami. Vaterschaft und die aktive Teilnahme an der Erziehung unseres Kindes, erfährt er in der Arbeit als harte Strafe. Die unendlich vielen gehässigen und entwürdigenden Kommentare der Vorgesetzten ganz außen vor gelassen.
Als Mutter war ich von Anfang an darauf vorbereitet, vorerst in Vorleistung gehen zu müssen. In einem bereits erschienen Artikel von mir, spreche ich das Thema an. Ich erfahre am eigenen Leib, dass ich vor allem in der Anfangszeit des Wiedereinstiegs deutlich mehr leisten muss als meine Kollegen. Die Teilzeitarbeit birgt Gefahren. Man wird übersehen. Prioritäten auch auf die monetär unwichtigen Dinge im Leben zu legen (Familie, Erziehung, etc.), ist in unserer Arbeitswelt kein Plus. Es ist ein massives Minus.
Studie mit niederschmetternden Ergebnissen
Wie geht es denn den Vätern und Müttern in anderen Ländern? Eine Studie aus Kalifornien erschien hierzu im November 2018. Sie untersucht die Nachteile der Ärztinnen in unserer Arbeitswelt, sobald sie Mütter werden. Die Ergebnisse sind – wie zu erwarten – niederschmetternd.
In einer anonymen Online-Befragung wurden Mütter, die als Ärztinnen arbeiten, Fragen zu Diskriminierung gestellt. Rekrutiert wurden sie aus einer Facebook-Gruppe, die sich „Physicians Mom Group“ nennt. 5.782 Frauen antworteten auf die Frage, ob sie schon einmal als Mutter und Ärztin diskriminiert wurden. Nur die Frauen, die sowohl Ärztin als auch Mutter sind, wurden in die Studie eingeschlossen. 1009 Ärztinnen und Mütter haben auf die Frage, ob sie schon einmal diskriminiert wurden, außerdem mit freien Texten geantwortet.
Es wurden nur diejenigen Antworten ausgewertet, die sich auf die Diskriminierung als Mutter in der Medizin beschränkten. Diskriminierungen, die man als Frau erfährt, ohne einen konkreten Bezug zur der Mutterschaft zu haben, wurden ausgeschlossen. So konnten schlussendlich 947 freie Antworten eingeschlossen und von den Autoren analysiert werden.
Das mittlere Alter der Teilnehmerinnen betrug 39 Jahre, die mittlere Kinderanzahl 2. Da die Studie in den USA entstanden ist, ist noch wichtig zu erwähnen, dass die Teilnehmer der Gesamtbevölkerung entsprachen (74,2 % White, 12,9 % Asian, 8,4 % Hispanic, 5,3 % Black).
90 % der Teilnehmer, deren Antworten ausgewertet wurden, waren aktiv arbeitende Ärztinnen mit mehr als 40 Wochenstunden (43 % 41-60h, 17 % >61h).
Die Antworten der Frauen wurden in mehrere Kategorien der möglichen Diskriminierung eingeteilt:
Außerdem wurde die Diskriminierung den entsprechenden Verursachern zugeordnet. Die Ärztinnen beschrieben darin nicht nur Diskriminierung vom Arbeitgeber und den Kollegen, sondern auch von Mitarbeitern (Physiotherapie/Casemanager etc.) und Patienten.
Was sind die Ursachen?
Laut Autoren gibt es mehrere Ursachen für die Diskrimierung, die sich in den Antworten der Frauen wiederfinden: Gesellschaftliche Normen (der Mann verdient das Geld zu Hause), Medizinkultur (man kann entweder gute Ärztin oder gute Mutter sein) und Medizinhistorie (Frauen gehören nicht in die Medizin) im Allgemeinen und die Struktur des Medizineralltags (z.B. Stillmöglichkeiten aufgrund des Ärztemangels oder Fehlplanungen nicht möglich).
Einige beeinflussende Aspekte wurden zusätzlich benannt und entsprechend herausgearbeitet. Der Ausbildungsstand, die Fachrichtung und die Ausbildungsstätte spielten hier eine Rolle.
Die Autoren der Studie fanden in den Antworten der Frauen zahlreiche Auswirkungen der Diskriminierung. So werden folgende Bereiche beeinflusst:
Der Tenor ist eindeutig
Im Gegensatz zum amerikanischen System gibt es in Deutschland einen bezahlten Mutterschutz und ein staatliches Elterngeld. Doch auch wenn sich die Studie hauptsächlich auf Ärztinnen und Mütter in den USA bezieht, gibt es ausreichend Aspekte, die wir auf unser System in Deutschland übertragen können und weiter untersuchen müssen.
Um herauszufinden, wie es deutschen Ärztinnen und Müttern geht, habe ich einige Interviewfragen gesammelt, die bereits 26 Ärztinnen und Mütter aus unterschiedlichen Fachbereichen und unterschiedlichen Weiterbildungsstufen beantwortet haben. Auch hier ist der Tenor klar: die Unterstützung durch Gesellschaft, Arbeitgeber und Kollegen ist nach wie vor viel zu gering. Deshalb: einfach mitmachen und anderen Ärztinnen und Müttern in Deutschland ein Vorbild sein, Beispiele geben, Diskriminierung aufdecken.
Die positiven Effekte, die unsere männlichen Kollegen durch unsere Diskriminierung als Mütter und arbeitende Ärztinnen haben, sind nicht zu unterschätzen.
In meinem persönlichen Fall ist es ganz einfach. Mein Mann erlebt es am eigenen Leib: Schmerzhaft, anstrengend, unfair, hilflos, wütend.
Mein Mann ist nun mein Verbündeter. Wir kämpfen gemeinsam. Für eine familienfreundliche Arbeitswelt. Für ein familienfreundliches Vorankommen. Für eine Chancengleichheit, die in der aktuellen Arbeitswelt noch weit entfernt scheint.
Wir Mütter müssen uns für unsere Rechte einsetzen
Um eine Veränderung zur erreichen, bedarf es sehr viel Kraft und Einsatz. Strukturen müssen sich ändern, gesellschaftliche Normen und Ansichten müssen sich vom Negativen ins Positive wenden, Unternehmensstrukturen müssen angepasst werden.
Wir Mütter müssen uns für unsere Rechte einsetzen. Im Kleinen bei unseren Männern zu Hause, im Größeren bei den Chefs in der Abteilung.
Als Frau gewöhnt man sich sehr schnell an die Diskriminierung. So ahne ich jetzt schon, dass meine Gehaltsverhandlungen später deutlich anstrengender werden, als bei meinen männlichen Kollegen. Aber ich weiß, dass ich es mit Verbündeten schaffen werde. Dafür brauchen wir Frauen und Männer und eine Kultur, die die Unterschiede der Führungsqualitäten von Frauen und Männern positiv hervorhebt. Für uns Frauen heißt es, ein Netzwerk zu schaffen, in dem man sich gegenseitig unterstützt und wertschätzt.Bildquelle: JÉSHOOTS, pexels