Es gibt eine Epidemie in den USA, die auch in Europa um sich greift. Von ihr sind mehr Menschen betroffen als von Krankheiten, über die sich die Welt gerade Sorgen macht. Eines vorweg: Es geht nicht um den Missbrauch von Opioiden.
Es gibt viele Gründe, warum Menschen ihre Medikamente nicht nehmen. Einer der Gründe ist, dass die Medikamente die Patienten daran erinnern, dass sie krank sind. Und wer will schon krank sein?
Genau, niemand. Und so verordnen sich die Leute selbst eine Pillenpause und leben gefährlich. Jedes Jahr erleiden mehr als 12.000 Menschen in Großbritannien unnötig einen Herzinfarkt, weil sie ihre Statine nicht einnehmen, so das Ergebnis einer kürzlich veröffentlichten Studie des Imperial College London.
Pillenverleugner sind ein Problem und zwar nicht nur ein gesundheitliches: Es geht auch um richtig viel Geld. Für Deutschland schätzen Experten die durch Non-Compliance entstehenden Kosten auf 7,5 bis 10,0 Milliarden Euro.
Eine Autorin der NY Times beschrieb Adhärenz einmal als eine Epidemie, die außer Kontrolle ist und mehr kostet und mehr Leute betrifft als jegliche Krankheit, über die Amerika sich aktuell Sorgen macht.
Von Nichtschluckern und Halbierern
Zwischen 20 und 30 Prozent der verschriebenen Medikamente werden nicht bezogen, ergaben vergangene Studien. Bei chronischen Krankheiten werden ungefähr 50 % der Medikamente nicht so eingenommen, wie sie verschrieben werden. Das betrifft teils schwerwiegende Erkrankungen: Ein Drittel der Nierentransplantierten nehmen beispielsweise ihre Medikamente zur Verhinderung der Organabstoßung nicht, die Hälfte der Kinder mit Asthma benutzt ihr Inhalationsgerät entweder gar nicht oder nicht regelmäßig. Und jene, die ihre Medikamente nehmen, egal ob für eine einfache Infektion oder eine lebensbedrohliche Krankheit, nehmen typischerweise nur etwa die Hälfte der Dosis ein.
In den USA folgen daraus nach Schätzungen etwa 125.000 Tote und mindestens 10 % der Leute landen deswegen im Krankenhaus. Die Kosten für das Gesundheitssystem bewegen sich jährlich in Milliardenhöhe. In Europa haben wir genau dasselbe Problem.
Grob gesagt: Medikamente, die nicht genommen werden, wirken auch nicht.
Haufenweise Gründe
Das beschriebene Phänomen mag teils auch erklären, weshalb manch neues Medikament, das in Studien zur Zulassung (wo die Patienten unter Aufsicht stehen und die Einnahme kontrolliert wird) spektakulär gut gewirkt hat, nach der Zulassung und auf dem Markt aber nicht mehr so gut funktionieren.
Non-Adherence (oder Non-Compliance) wie das nicht-richtige Einnehmen der Medikamente genannt wird, ist ein großes Problem und es gibt nicht EINE richtige Lösung dafür, da die Gründe für diese Non-Adhärenz sehr unterschiedlich sind:
Eltern stoppen zum Beispiel gerne die Asthma-Medikation des Kindes, weil sie „die Idee nicht mögen, dass ihr Kind auf unbestimmte Zeit ständig Medikamente nimmt“. Dabei braucht ein Kind mit Asthma auch ohne offensichtliche Symptome eine Behandlung der zugrundeliegenden Entzündung des Lungengewebes. Wenn so ein Kind eine Erkältung bekommt, ist es dann einfach 6 Wochen krank statt nur einer.
Weitere Gründe und Aussagen, weshalb Medikamente nicht richtig genommen werden – und ich bin sicher, dass die jeder Mensch, der in einer Apotheke oder beim Arzt oder im Spital arbeitet, auch schon gehört hat:
„Ich bin da altmodisch, ich nehme nicht einfach Medikamente, wenn ich etwas habe.“ Das von einem Mann mit Niereninsuffizienz, Diabetes und einer Thrombose im Herz.
Auch typisch: „Ich mag Medikamente nicht.“
Viele Patienten nehmen die Medikamente nicht, da sie sie als „chemisch“ ansehen, als „unnatürlich“. Das Fischöl wird genommen – aber das Statin, das der Arzt gegen das hohe Cholesterin verschrieben hat, nicht.
Wer will schon krank sein?
Wie gesagt, das Problem mag auch damit zusammenhängen, dass die Medikamente die Menschen daran erinnern, dass sie krank sind. So weigert sich die Großmutter zum Beispiel, die für ihr Herzproblem verschriebenen Medikamente zu nehmen. Aber Vitamintabletten nimmt sie, da sie glaubt, dass sie das gesund erhält. Also sagt ihr die Enkelin, die ihr die Tabletten abends gibt, das seien Vitamine (und nicht Betablocker). Das ist eine Lösung – wenn auch nicht wirklich die beste.
Häufig experimentieren die Leute auch selber. Sie stoppen die Einnahme ihrer Medikamente für ein paar Wochen und wenn sie sich nicht schlechter fühlen, dann nehmen sie die auch nachher nicht mehr. Das Verhalten sieht man häufig bei solch „stillen“ Konditionen, die einem kaum Beschwerden machen wie hohem Blutdruck oder und Herzinsuffizienz.
Die Kosten der Medikamente spielen ebenfalls mit hinein – dieses Problem ist in den USA mit einem deutlich schlechteren Versicherungssystem größer als bei uns. Wenn über 50 Dollar selber für das Medikament bezahlt werden müssen, sinkt die Adhärenz. Oder wenn etwas sehr teuer ist, nimmt man weniger als die verschriebene Dosis, um das Medikament zu „strecken“. Andererseits fallen bei einer Kosten-Nutzen-Analyse auch Statine unter den Tisch, die eigentlich günstig sind und von denen Studien zeigen, dass sie Herzinfarkte vorbeugen, weil die Leute eben nicht die möglichen Folgen des Nicht-Nehmens bedenken.
Auch wenn Patienten andere über deren Nebenwirkungen eines Medikaments reden hören, werden diese Medikamente eher abgesetzt.
Hier einige Lösungsansätze
Es gibt also viele Gründe, weshalb ein Patient nicht adhärent ist. Aber es gibt auch Lösungen für eine bessere Einnahme:
Welche Erfahrungen habt ihr schon mit Non-Compliance / Non-Adhärenz gemacht?
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