Erotische Liebesbeziehung oder schon sexuelle Gewalt? Der Film „Fifty Shades of Grey“ zeigt, dass diese eng beieinander liegen können. Zu einem ähnlichen Resultat kommt auch der amerikanische Wissenschaftler David Anderson.
Unter Aggression versteht man jedes Angriffsverhalten, das gegen sich selbst, (meistens) andere Individuen oder gegen Sachen gerichtet ist. Äußern kann diese sich durch verbale oder körperliche Angriffe gegenüber Personen oder Sachen. Aggression in ihrer extremen Form wird als Gewalt bezeichnet. Eine aggressive Verhaltensweise ist sowohl bei Tieren als auch bei Menschen angeboren. Man vermutet, dass sie bei dem Wettbewerb um Ressourcen wie beispielsweise Futter, der Verteidigung von Territorien oder einer Rangordnung sowie bei der Konkurrenz um einen Sexualpartner hilfreich ist bzw. war.
Ausgelöst wird ein aggressives Verhalten durch spezielle Emotionen. Das sind komplexe psychische bzw. psychosomatische Abläufe, durch die wahrscheinlich die Fortpflanzung und die physische und psychische Homöostase bewahrt werden. Sie kommen sowohl beim Menschen als auch bei vielen Tierarten vor. Über die genaue Definition streiten sich die Experten. Nach dem Neurobiologen David Anderson vom California Institute of Technology sind Emotionen jedoch „eine Art interne Gehirnzustände mit bestimmten allgemeinen Eigenschaften, die unabhängig von subjektiven oder bewussten Erfahrungen bestehen“. Doch wie lassen sich die für bestimmte Emotionen zuständigen Zellen identifizieren? Für ihre Studien beobachtete die Gruppe um David Anderson das Verhalten der Versuchstiere und bestimmte dadurch die zugrunde liegende Emotion. Zum Beispiel drücken die Verhaltensweisen „Erstarren“ oder „Fliehen“ den Emotionszustand „Angst“ aus. Verhaltensweisen, die auf „Wut“ hinweisen, schließen verschiedene Formen der Aggression mit ein. Die für die Emotion zuständigen Neuronen wiesen die Wissenschaftler mithilfe von genbasierten Techniken (z. B. Optogenetik) nach. Bei dieser werden genetisch markierte Nervenzellen mit Licht aktiviert, um spezifische Ereignisse hervorzurufen.
Mit dieser Technik entdeckten die kalifornischen Wissenschaftler bereits vor zwei Jahren [Paywall] bei männlichen Drosophila melanogaster geschlechtsspezifische Gehirnzellen, die das aggressive Verhalten der Tiere steigerten. Wurden diese Neuronen aktiviert, erhöhte sich die Aggressivität. Wurden sie dagegen blockiert, reduzierte sich das aggressive Verhalten. Das Balzverhalten wurde nicht beeinflusst. „Die geschlechtsspezifischen Zellen, die wir gefunden haben, üben ihren Effekt auf die Kampfhandlungen aus, indem sie ein bestimmtes Neuropeptid, oder Hormon, freisetzen, das bei Säugetieren – Mäuse und Ratten eingeschlossen – Aggressionen zur Folge hat“, so David Anderson. Dieses Ergebnis korreliert mit weiteren Studien, die auch bei Menschen mit Persönlichkeitsstörungen eine erhöhte Konzentration des Hormons Tachykinin nachweisen konnten.
Bei männlichen Mäusen fand die Gruppe um David Anderson [Paywall] etwa 2.000 Nervenzellen, die die Aggressivität der Tiere beeinflussten. Diese befanden sich im ventromedialen Hypothalamus – eine Region, die eigentlich mit dem Fortpflanzungsverhalten in Verbindung gebracht wurde. Diese „Aggressionsneurone“ waren mit den für die Paarung zuständigen Nervenzellen vermischt. Etwa 20 Prozent dieser Neuronen kontrollierten dabei beide Verhaltensweisen, die Aggression sowie den Geschlechtsakt. Gezeigt haben die Wissenschaftler dies [Paywall], indem sie die Neurone bei männlichen Mäusen optogenetisch stimulierten. Während bei einer geringeren Lichtintensität Verhaltensweisen wie Schnüffeln oder das Besteigen anderer Tiere sich erhöhten, gingen die Tiere bei einer höheren Stimulationsintensität zum Angriff über – beides mal egal, ob das Gegenüber ein Männchen oder Weibchen war. Da der Hypothalamus des menschlichen Gehirns strukturell ähnlich zu dem von Mäusen ist, sollen die Ergebnisse nach Ansicht von David Anderson auf den Menschen übertragbar sein. In der Bildmitte befinden sich die „Aggressionsneurone“ des Hypothalamus einer Maus (oranger Kreis). Die gelben Linien stehen für Nervenfasern. Quelle: Caltech In männlichen Drosophila melanogaster fand die Gruppe um David Anderson acht bis zehn sogenannte P1-Neurone pro Gehirnhemisphäre. Diese kommen nur bei männlichen Fliegen vor und verbinden pheromonale und visuelle Reize und fördern dadurch das Balzverhalten der Tiere. Eine kleine Untereinheit jedoch kann nicht nur das Balzverhalten, sondern auch die Aggressivität beeinflussen. Optogenetische Experimente zeigten, dass sich die Tiere bei einer geringeren Lichtintensität vermehrt aggressiv verhielten. Die Fliegen drohten beispielsweise mit den Flügeln oder boxten sich. Bei einer höheren Intensität beobachteten die Wissenschaftler, dass die Tiere ihre Flügel ausstreckten und damit vibrierten – der Balzgesang der Fruchtfliegen. Veröffentlicht wurden die Ergebnisse in dem frei zugänglichen Journal eLife. Beispiel für aggressives Verhalten: Männliche Fruchtfliege stürzt sich auf eine andere. Quelle: Caltech
„Wir studieren diese Probleme, da diese grundlegend für das Verständnis, wie das Gehirn arbeitet, sind. Jedoch entgeht es unserer Aufmerksamkeit nicht, dass Gewalt ein allgegenwärtiges Volksgesundheitsproblem ist. Meines Erachtens müssen wir das für die Entstehung der Aggression zuständige Schaltsystem des Gehirns verstehen, wenn wir jemals die anormalen Formen der Aggression wie beispielsweise sexuelle Gewalt verstehen wollen“, so David Anderson. Denn nach Auffassung des Wissenschaftlers könnten nämlich bei Menschen „falsch geschaltete“ Nervenzellen eine gewalttätige Verhaltensweise auslösen. Doch warum liegen beide Neuronenpopulationen überhaupt so eng beieinander? Grund hierfür könnte sein, dass eine aggressive Verhaltensweise unter Männern sowohl Futter, Territorien als auch Sexualpartner sicherte. Daher könnten die für das Sexualverhalten zuständigen Nervenzellen die Entwicklung der „Aggressionsneurone“ hervorgerufen haben, was die räumliche Nähe erklären würde. Zudem verstärken sich beide Neuronenpopulationen gegenseitig. Denn Tiere mit sexueller Erfahrung sollen aggressiver sein als solche ohne sexuelle Erfahrung.