Patienten, die nach einem Schlaganfall an Depressionen leiden, erhalten häufig Fluoxetin. Das Antidepressivum soll sogar entstandene körperliche Beeinträchtigungen reduzieren, hieß es in vergangenen Arbeiten. Britische Forscher widerlegen diese Aussage jetzt.
Welche Rolle das Antidepressivum Fluoxetin bei der Behandlung von Patienten nach einem Schlaganfall spielt, ist noch nicht ganz klar: Denn Fluoxetin soll nicht nur gegen die Depression helfen, an der viele dieser Patienten leiden, sondern auch die körperliche Regeneration begünstigen. So hieß es zumindest in vergangenen Arbeiten wie etwa der französischen FLAME-Studie aus dem Jahr 2011. Eine britische Forschergruppe widerlegt diese Aussage jetzt in einer kürzlich veröffentlichten Studie.
Neun Millionen Menschen pro Jahr sind weltweit erstmals von einem Schlaganfall betroffen, davon leiden 6,5 Millionen an langzeitiger Behinderung. In Deutschland liegt die Inzidenz bei 180 von 100.000. Fluoxetin kommt zur Behandlung von Depressionen und emotionaler Labilität zum Einsatz, gerade auch bei Patienten, die einen Schlaganfall erlitten haben. Darüber hinaus gab es in der Forschung Hinweise darauf, dass die Einnahme des Antidepressivums auch andere Mechanismen verbessert, darunter die Neuroplastizität und die Neurogenese, zum Beispiel in der FLAME-Studie (FLuoxetine for motor recovery After acute ischaeMic strokE) aus dem Jahr 2011. Fluoxetin begünstige die motorische Regeneration nach ischämischen Schlaganfällen, lautete das Ergebnis.
Ob diese These tatsächlich zutrifft, wollte die FOCUS Trial Collaboration herausfinden. Dabei handelt es sich um einen Zusammenschluss britischer Professoren und Ärzte unter der Leitung von Gillian Mead and Martin Dennis, der die Wirkung von Fluoxetin bei Schlaganfall-Patienten untersucht.
Zunächst die Fakten zur FLAME-Studie aus Frankreich: In der doppelblinden, placebokontrollierten klinischen Studie wurden 118 Patienten untersucht: Sie alle hatten einen ischämischen Schlaganfall erlitten und wiesen unilaterale motorische Schwächen auf mit einem NIHSS-Score von 13. Zwischen fünf und zehn Tagen nach dem Ereignis wurden die Studienteilnehmer randomisiert der Placebogruppe oder der Fluoxetingruppe zugeteilt. Letztere erhielt täglich 20 mg Fluoxetin für einen Zeitraum von drei Monaten. Am Tag 90 wurde gemessen: Wenig überraschend war die Zahl der Teilnehmer, die frei von depressiven Symptomen war, in der Fluoxetingruppe höher als in der Placebogruppe (93% vs 71%; p=0,002). Erstaunlicherweise war aber auch der Fugl-Meyer Score für Motorik sowie die Zahl an Patienten, die unabhängig zuhause leben konnten (26% vs 9%, p=0,015) verglichen mit der Placebogruppe höher.
Die britische Forschergruppe des FOCUS-Projekts kam nun zu einem anderen Ergebnis. Im Rahmen einer doppelblinden, placebokontrollierten klinischen Studie wurden Daten von 103 britischen Kliniken herangezogen. Miteingeschlossen wurden alle Patienten ab 18 Jahren, die eine klinische Schlaganfall-Diagnose erhalten hatten und fokal-neurologische Defizite aufwiesen. Sie wurden randomisiert für einen Zeitraum von sechs Monaten entweder der Placebogruppe oder der Wirkstoffgruppe zugeteilt, in der Teilnehmer täglich ein Mal 20 mg Fluoextin einnahmen. Dabei wurde der funktionale Status anhand des mRS (modified Rankin Scale) nach sechs und nach 12 Monaten nach der Randomisierung gemessen.
Im Zeitraum zwischen September 2012 und März 2017 wurden 3.127 Patienten untersucht, davon befanden sich 1.564 Personen in der Fluoextin- und 1.563 in der Placebogruppe. Die Ergebnisse der mRS-Messung nach sechs Monaten: Die Wahrscheinlichkeit, eine Depression zu entwickeln, war bei Fluoxetin-Patienten niedriger als bei den Placebo-Patienten (210 [13,43%] patients vs 269 [17,21 %]; Differenz 3,78 % [95 % CI 1,26–6,30]; p=0,0033). Allerdings wiesen sie mehr Knochenfrakturen auf als die Teilnehmer in der Placebogruppe (45 [2,88 %] vs 23 [1,47 %]; Differenz 1,41 % [95 % CI 0,38–2,43]; p=0,0070).
Die tägliche Gabe von 20 mg Fluoxetin nach einem akuten Schlaganfall scheint die funktionalen Resultate nicht zu verbessern. Durch die Behandlung konnte zwar das Auftreten von Depressionen reduziert werden, dafür kam es aber auch zu mehr Knochenfrakturen. Nach Ansicht der Studienautoren sprechen die gewonnenen Erkenntnisse gegen eine generelle Routinebehandlung mit Fluoxetin. „Im Gegensatz zu Aussagen kleinerer Trials, hat FOCUS gezeigt, dass es keine Vorteile hat, routinemäßig Fluoxetin zu verschreiben, um die körperliche Regeneration nach einem Schlaganfall zu behandeln“, wird Professor Gillian Mead von der University of Edinburgh's Centre for Clinical Brain Sciences in einer Pressemitteilung zitiert.
Ihr Kollege Martin Dennis erhofft sich mehr Klarheit, sobald die Ergebnisse der weiteren Trials AFFINITY und EFFECTS von Forschern in Australien und Schweden vorliegen, mit denen das FOCUS-Team eng zusammenarbeitet.
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