Die Frischzellentherapie soll verjüngend wirken und bei zahlreichen Krankheiten helfen. Bewiesen ist das nicht. Wegen ernster gesundheitlicher Risiken ist die Therapie in fast allen Ländern verboten. Endlich will auch Deutschland nachziehen. Warum hat das so lang gedauert?
Was haben Papst Pius XII (1876-1958), der Schauspieler Willy Millowitsch (1909-1999), der frühere Bundeskanzler Konrad Adenauer (1876-1967) und der Fußballspieler Helmut Schön (1915-1996) gemeinsam? Sie setzten auf Frischzellentherapien, um dem Alterungsprozess ein Schnippchen zu schlagen. Dass längst überholte Therapieverfahren aus den 1930er-Jahren noch heute die Gesundheitspolitik prägen, überrascht.
Riskante Spritzen
Die Frischzellentherapie geht auf Paul Niehans (1882-1971), einen Schweizer Arzt, zurück. Er spritzte Patienten Zellen aus Kuh- oder Schafembryonen, um den Organismus zu „verjüngen“. Später experimentierte Niehans auch mit gefriergetrocknetem Material. Literaturrecherchen unter den englischen begriffen „living cell therapy“ oder „fresh cell therapy“ fördern keine einzige ernstzunehmende Studie an das Tageslicht. Dem stehen ernste Risiken gegenüber. Fünf US-Medizintouristen erkrankten am Q-Fieber, nachdem sie in Deutschland Frischzelltherapien erhalten hatten. Ob es zur Übertragung sonstiger Erreger gekommen ist, weiß man nicht. In den Staaten sind solche Behandlungen schon immer untersagt gewesen. Als weitere Risiken werden heftige Immunreaktionen bis zum anaphylaktischen Schock genannt.
Juristisches Tauziehen
Damit war für Horst Seehofer (CSU) als früherem Bundesgesundheitsminister die Sache klar. Er verbot 1997 kurzerhand alle Frischzellentherapien per Verordnung, hatte die Rechnung aber ohne den Wirt gemacht. Befürworter zogen bis vor das Bundesverfassungsgericht – und sie bekamen Recht: Extrakte würden nicht, wie im Arzneimittelgesetz vorgesehen, bundesweit über Apotheken in den Verkehr gebracht. Vielmehr stelle jedes Therapiezentrum eigene Präparate her. Es ging wie so oft um formale Fehler, nicht um die mögliche Gefährdung von Patienten. Damit war ein Verbot aus Berlin hinfällig. Die Länder hätten eingreifen können, ihnen fehlte jedoch eine klare Linie. Damit blieb alles beim Alten.
Neues Arzneimittelgesetz – neuer Anlauf
Im Jahr 2009 wendete sich das Blatt erneut. Aufgrund von Novellierungen verbot das Arzneimittelgesetz neben dem Inverkehrbringen auch die Anwendung suspekter Therapien. Prompt folgten Gutachten des Paul-Ehrlich-Instituts bzw. des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte. „Für die Herstellung und parenterale Anwendung von xenogenen Organextrakten in Deutschland wird die Qualität, Unbedenklichkeit und Wirksamkeit wissenschaftlich als nicht belegt angesehen“, kommentieren Experten. Anwendungen seien mit einem „negativen Nutzen-Risiko-Verhältnis“ und mit „medizinisch nicht vertretbaren Risiken“ verbunden. Das war im September 2015 bzw. im Juli 2016. Die Meldepflicht nach § 67 Arzneimittelgesetz nehmen manche Landesbehörden ernst, andere eher nicht.
Der Rubel rollt
Völlig unbeeindruckt von der Kritik bieten Heilpraktiker weiter Frischzellentherapien an, wie eine kurze Recherche zeigt: „Die Übertragung der Frischzellen verursacht eine Verschiebung des biologischen Alterungsprozesses“, heißt es auf einer Website. Ein anderer Heilpraktiker nennt das Ganze gleich „lösliche Peptide“. Klingt doch schon viel seriöser. Oder wie wäre es mit Organbestandteilen als „funktioneller Informationstherapie“? Und das „Deutsche Zentrum für Frischzellentherapie“ spricht gezielt Kundschaft aus China, Russland oder aus den USA an. Auch in vielen asiatischen Ländern ist das Verfahren verboten.
Spahn geht ran
Jetzt wird Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) die Sache etwas zu bunt. Mehr als 20 Jahre nach Seehofers gescheitertem Versuch veröffentlicht er einen Entwurf zum „Gesetz für mehr Sicherheit in der Arzneimittelversorgung (GSAV)“. Es geht nicht nur um den Import-Skandal (Lunapharm) und um gestreckte Zytostatika (Bottrop). Spahn verbietet Heilpraktikern, verschreibungspflichtige Arzneimittel herzustellen. Gleichzeitig schafft er Grundlagen, um Frischzellen aus deutschen Landen zu verbannen. Dabei handelt es sich nicht um ein Anti-Heilpraktiker-Gesetz. Auch viele Ärzte verdienen sich mit Frischzellen eine goldene Nase.
Bildquelle: Franco Folini / Flickr, CC BY SA 2.0