Die Sonne scheint und wieder kriechen Zecken in Großformat durch alle Apotheken-Schaufenster. Manche Arztpraxen hängen die Werbeplakate der Impfstoffhersteller raus, schön mit knallrot eingefärbten Risikogebieten. Inzwischen haben wir die Mainlinie von Süden her überschritten, sodass man denken möchte, die Invasion käme aus dem Osten und dem Süden.
Wir haben in der Praxis auch schon etliche der Viecher entfernt, vor allem aus Ängstlichkeit der Eltern, weniger aus Unvermögen. Es wird ja gar nicht erst versucht. Dabei kannt man gar nicht viel falsch machen:
Mit Bedacht vorgehen ja, Panik nein
Zecken übertragen Krankheiten, keine Frage. Deshalb sollen sie ja auch raus. Aber Panikmache ist hier nicht wirklich angesagt. Das Robert-Koch-Institut beschäftigte sich 2012 sehr ausführlich mit der Problematik der Frühsommer-Meningoenzephalitis, die durch einen Virus übertragen wird. Kommt es zu einer Infektion, zeigen nur 10–30 Prozent der Menschen irgendwelche Symptome, alle anderen bleiben asymptomatisch. Man erkrankt grippeähnlich, es gibt zwei Krankheitsverläufen, mitunter mit schweren Folgeerkrankungen. Daher ist die FSME keine leichte Erkrankung und wir nehmen sie in der Zeckenzeit als Differentialdiagnostik sehr ernst, auch wenn wir sie nicht kausal behandeln können, da viral.
Selten bleibt die Erkrankung trotzdem: Man geht im Landesschnitt von 1,3 Erkrankte auf 100.000 Personen (pro 5 Jahre) aus (mit starken Schwankungen, von 0 Erkrankten in meist städtischen Regionen bis 30 Erkrankten im ländlichen Raum). Zum Vergleich: Die Inzidenz von Masern lag 2017 bei 0,9 Erkrankten auf 100.000 Einwohner (pro Jahr und nicht pro 5 Jahres-Intervall).
FSME und Borreliose
Ein Krankheitshäufung findet sich im mittleren Lebensalter, wohl vor allem bei den Spaziergängern und Freizeitsportlern. Kinder erkranken seltener (oder werden hier die Zecken schneller gefunden?), ebenso wie Senioren (vielleicht wälzen die sich auch weniger im Gras). Ich erinnere mich in fünfzehn Jahren Niederlassung lediglich an ein Kind mit FSME (typischen Symptomen und nachgewiesenem Titeranstieg im Blut).
Dann ist da noch die Borreliose, die deutlich häufiger auftritt. Man rechnet jährlich mit über 200 Erkrankten auf 100.000, mit deutlichen Jahresschwankungen. Zudem ist die Borreliose im gesamten Bundesgebiet verbreitet und kann sogar in Städten auftreten. Vorteil dieser Erkrankung: Sie ist bakteriell und kann mit Antibiotika recht gut behandelt werden. Das Hauptsymptom ist die Wanderröte, zumindest bei Kindern, auch wenn es Fälle gibt, die diese Hauterscheinung nicht zeigen. Auf die Diskussion rund um chronische Borreliose möchte ich nicht eingehen. Ein in Fachkreisen hoch umstrittenes Thema, das eng mit Pharmainteressen und auch Verschwörungstheorien verknüpft ist. Nichtsdestotrotz gibt es Spätsymptome wie Gelenkentzündungen, die unbedingt auch an eine Borreliose denken lassen müssen.
Den Stich im Auge behalten
Panik wegen der possierlichen Tierchen ist aus kinderärztlicher Sicht nicht gerechtfertigt, dennoch empfehle ich in meiner Praxis die FMSE-Impfung. Ich denke, wenn man einer Erkrankung mit einer gut verträglichen Impfung vorbeugen kann, so sollte man das tun. Ich berate zudem ausführlich über Symptome der beiden Erkrankungen, wenn es zu einem Zeckenstich gekommen ist. Grippesymptome treten natürlich auch ohne Zecke nicht selten auf, da braucht es mitunter differentialdiagnostisches Geschick. Die Wanderröte sollte beachtet werden, deswegen auch einen Zeckenstich markieren oder sich die Stelle wenigstens gut merken.
Anekdoten zum Thema:
Hilfe! Zecke!
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