Der junge Mann leidet. Die Augen jucken, die Nase läuft, rot sind die Hautstellen periorbital und nasolabial. Der Heuschnupfen hat zugeschlagen, es ist die dritte Saison in Folge. Damit erfüllt der Patient alle Kriterien der chronischen Erkrankung. Die letzten zwei Jahre habe sie sich wohl so durchgerettet, jetzt soll der Arzt Abhilfe schaffen.
Ich untersuche ihn, mache mir ein Bild, finde keine Lungenbeteiligung, Asthma im dritten Jahr wäre richtig sch… . Die Mutter berichtet von der familiären Belastung mit Allergien (es ist immer der Vater, immer der Vater).
Ich hole aus, berate zu begleitenden Maßnahmen wie Fenstergeschlossenhalten in der Nacht, Auswaschen der Haare, Kleidung in die Wäsche und dergleichen und spreche über die Akuttherapie. Augentropfen, Nasentropfen, wahlweise -spray. Zunächst ein einfaches Antiallergikum, man muss sich auch steigern können. Ich verweise auf die Regelmäßigkeit und Konsequenz der Behandlung, auf das vorbeugende Prinzip: Nicht warten, bis die Allergie explodiert, sondern morgens gleich Prophylaxe betreiben, wenn die Wetter-App Sonnenschein verkündet.
Rezepte, Pollenflugkalender, Hyposensibilisierung
Rezepte werden verteilt, ein Pollenflugkalender. Ich bitte darum, sich nach der Saison wieder zusammenzusetzen, um eine mögliche Hyposensibilisierung zu besprechen – und sich ja zu melden, wenn der „Etagenwechsel“ einsetzt, mehr Husten, Atemnot, Kurzatmigkeit, wenn die Lunge beteiligt ist.
Soweit, so gut.
Merke: Die Behandlung ist erst beendet, wenn der Patient die Praxis verlässt. In der Arztpraxis kommt die entscheidende Frage stets beim Verabschieden, wenn die Klinke schon in der Hand liegt, die berühmte Columbo-Frage: „One more thing. Eine Frage noch.“
It's not over till it's over
Und so auch hier: Wir verabschieden uns schon, Hände wurden bereits geschüttelt, da bleibt die Mutter in der Tür stehen. „Eine letzte Frage noch, Herr kinderdok. Ich dachte“, sagt die Mama, „wir versuchen es doch erst einmal mit … Globuli. Ist das okay?“
Keine Ahnung, ob meine Stimmung heute nicht die passende war, ob meine Empathie beim Patienten davor aufgebraucht wurde oder ob mir der Junge einfach nur leid tat, jedenfalls:
„Denken Sie wirklich, dass Sie Ihren Sohn in diesem Jahr mit Zucker behandeln möchten? Wenn Sie ihn jetzt ansehen, wenn Sie sehen, wie die Nase läuft, die Augen jucken? Sie haben erzählt, dass Sie ihn letzte Woche zweimal aus der Schule abholen mussten und beim Fussballturnier am Wochenende habe er auch das Spiel abgebrochen. Ganz ehrlich: Das Hinauszögern einer Behandlung, die jede Leitlinie empfiehlt und in jedem seriösen Lehrbuch nachzulesen ist, wäre ein Kunstfehler und eine unnötige Gesundheitsgefährdung. Nein, Frau Hansen, ich denke, Globuli sind nicht okay!“