In meinem Alter wird man altersweise. Gerade, wenn es um das Thema Impfen geht. Und von Impfdiskussionen gibt es viele. Ich bin nicht mehr so streng und abweisend wie noch vor Jahren. Dennoch gibt es Grenzen.
Ich bin überzeugter Impfmediziner. Das sollte aus zahlreichen Artikeln hier im Blog bereits deutlich geworden sein. Meine Grundeinstellung ist es, dass Impfungen zur modernen Medizin dazugehören, sich damit ausreichende geschulte Experten in der Ständigen Impfkommission einbringen und sehr genau entscheiden, wann welche Impfung zur Empfehlung wird und wann eine Empfehlung geändert oder gestrichen wird. Ein wenig Vertrauen gehört dazu.
Viel hängt das mit der eigenen Einstellung zur Medizin zusammen: Ich möchte einem Schutzbefohlenen möglichst alle Krankheiten ersparen. Wie ginge das besser als mit einer Impfung? Klar, kann die Medizin heute viel lindern, sogar heilen, was sie vor Jahrzehnten nicht konnte, aber jede Studie zeigt: Prävention zählt in allen Bereichen, so auch in der Infektionsverhinderung. Meine Kinder sind „durchgeimpft“, wie es so schön heißt. Das beinhaltet auch die HPV-Impfung für die Große und die FSME-Impfung für die lokalen Risiken.
U3: Die erste Gelegenheit, Impfungen näher zu bringen
Bei der U3 versuche allen Eltern, meine Einstellung näherzubringen. Der Zeitpunkt ist ausreichend früh. Die erste Impfung beginnt mit sechs bzw. acht Wochen (die Rota-Impfung, dann der Rest, also Tetanus, Diphtherie, Keuchhusten, Kinderlähmung, Hämophilus influenzae, Hepatitis B und extra die Pneumokokken). Die Eltern haben noch viel Zeit zu überlegen. Meist sind sie schon informiert, leider oft fehlinformiert. In klärenden Gesprächen bei der U3 oder bei einem Extratermin zur Impfberatung geht es um weitere Aufklärung, die heutzutage meist eher der Widerlegung von Mythen und falschen Behauptung dient. Fake-News-Prophylaxe.
Ein beliebtes Gegenargument der Eltern: die frühe Impfung. So klein, so empfindlich, Neuronenentwicklung, Verträglichkeit, all dies wird angeführt. Und ich verstehe die Eltern: Das empfindliche sensible unversehrte Neugeborene möchte niemand mit Nadel gestochen sehen, es ist der Eingriff in die Unversehrtheit.
Rota, Keuchhusten, Windpocken
Die Rota-Impfung sollte mit 6 Wochen begonnen werden und allerspätestens in der 24. Lebenswoche beendet sein, sonst entwickelt der Organismus zu wenig Antikörper und das Nebenwirkungs-Spektrum vergrößert sich, vor allem das Risiko für das Auftreten einer Darmverstülpung nimmt zu. Entscheiden sich Eltern also für eine spätere Impfung, fällt diese meist komplett flach. Das muss ich kommunizieren.
Die U5, also die Untersuchung mit einem halben Jahr, ist eine magische Marke. Jetzt scheint erstmal alles stabiler zu sein. Jetzt ist eine Impfung okay. Also dann. Dann impfe ich eben erst mit sechs Monaten. Die Risiken einiger Erkrankungen werden klar benannt, beispielsweise von einer Keuchhusteninfektion: Sie kann letal verlaufen, zumindest aber wandern eigentlich alle Säuglinge ins Krankenhaus, da sie plötzliche Atemstillstände durchlaufen können. Von der späteren Bronchialempfindlichkeit ganz zu schweigen. Noch mehr kann ich erzählen zur besseren Antikörperbildung, der besseren Verträglichkeit bei früher Impfung, sicher auch dem hoffentlich schnelleren Vergessen.
„Wir wollen lieber nicht alles impfen“
Eltern möchten oft nicht alles impfen. Welches sind hier die üblichen Verdächtigen?
Über all diese Impfungen kann ich vortrefflich aufklären und diskutieren und mache das auch. Ich bringe Ankedoten ein, um die Studienlage zu unterfüttern. Ich erzähle von den hohen Krankenhauszahlen der durchfallerigen Säuglingen vor nicht mal zehn Jahren und dem deutliche Rückgang dieser Zahlen, erzähle von den chronischen Verläufen bei Hepatitis B und den hautgeplagten Einjährigen, die nun doch den Juckreiz der Windpocken ertragen müssen. Ein „Ätsch“ liegt mir zwar fern, aber nicht selten haben Eltern die Verweigerung der Varizellenimpfung im Nachhinein bereut, als sie sahen, was die Infektion mit der Haut anrichtet.
Die Entscheidung nicht aus der Hand geben
Eltern möchten das Gefühl haben, selbst zu entscheiden. Paternalismus ist ein Trugschluss der heutigen Zeit, dennoch gibt es Eltern, die sich eine lenkende Beratung durch den Kinderarzt wünschen. Was wird empfohlen, warum und warum nicht, welche Risiken und welchen Benefit gibt es. Ich kann den Eltern nur die Empfehlungen darlegen, entscheiden müssen sie dann schon selbst.
Fragen, die aus Verunsicherung aufkommen lauten folgendermaßen: Ob ich meine eigenen Kinder impfe (ja) und wie andere Eltern das sehen (über 95 Prozent der Eltern impfen ihre Kinder). Diese Eltern haben sich meist von der gefühlten, aber falschen Wahrheit beeinflussen lassen, dass mehr und mehr Eltern Impfungen kritisch gegenüber stehen. Impfquoten bestätigen das aber keineswegs. Impfgegner haben einfach die größere Klappe und sind vor allem in den sozialen Medien viel besser vernetzt.
Diese Eltern-Gruppen gibt es
So kann ich im Moment folgende Eltern-Gruppen unterscheiden:
Ich impfe, wen ich gesund sehen möchte
Die Gruppen existieren nicht in gleichmäßigen Größen. Die letzten beiden Gruppen erscheinen häufig erst gar nicht beim Arzt oder haben sich informiert, dass in meiner Praxis mit ihrer Einstellung kein Land zu gewinnen ist. Die ersten zwei Gruppen machen die oben genannten 95 Prozent der Eltern aus. Um die beiden mittleren Gruppen müssen wir uns als Ärzte aber besonders kümmern, denn diese können wir eventuell mit guten Argumenten erreichen.
„Wir impfen nur die Kinder, die wir behalten wollen“, so oder ähnlich geistert ein Meme durch die sozialen Medien. Dr. House hat diese Aussage auf seine Weise unterstrichen, in dem er die Kindersärgeindustrie mit der der Impfgegner verbandelt sah. Bleiben wir in diesem Bild, so impfen Mediziner die Kinder, die sie gesund sehen wollen. Welchen anderen Nutzen hätte es sonst?
Dazu auch: „Wer alle Impfungen verweigert, den schmeiße ich raus“
Ursprünglich hier