Bei Lepra denken viele an Indien, aber Brasilien – Austragungsort der Olympischen Sommerspiele – ist mit 30.000 Fällen pro Jahr das Land mit der zweithöchsten Rate an Lepra-Neuerkrankungen. Das WHO-Ziel, die Infektionskrankheit weltweit zu eliminieren, ist ferner denn je.
Bei Brasilien, dem Austragungsland der olympischen Sommerspiele 2016, denken viele Ärzte momentan vor allem an das Zika-Virus. Weit gefehlt: Brasilien ist mit 30.000 Fällen pro Jahr nach Indien (125.000 Fälle) das Land mit der zweithöchsten Rate an Lepra-Neuerkrankungen. In der letzten Dekade hat sich wenig getan – das Leiden tritt in etlichen Ländern Asiens, Afrikas und Lateinamerikas immer noch epidemisch auf. Außerdem diagnostizieren Kollegen Lepra oft erst in späten Stadien, sprich nach der Erblindung, dem Verlust von Fingern oder Zehen. Lange Latenzzeiten lassen sich evolutionsbiologisch erklären, berichten Genetiker.
Die Krankheit wird durch Mycobacterium leprae ausgelöst. Jetzt haben Johannes Krause von der Universität Tübingen und Stewart Cole von der EPFL Lausanne auch das Erbgut von Mycobacterium lepromatosis, einer selteneren, aber deutlich aggressiveren Form, analysiert. Beide Spezies unterscheiden sich stark in ihrer DNA-Sequenz, besaßen aber einen gemeinsamen Vorfahren. „Wir gehen davon aus, dass sich beide Erreger im Lauf der Zeit an ihren Wirt angepasst haben und Gene, die nicht mehr gebraucht wurden, verloren gingen“, so Cole. Mykobakterien haben innerhalb von zehn Millionen Jahren womöglich an Aggressivität eingebüßt. Sie schädigen Menschen langsam, aber dauerhaft. Das könnte erklären, warum Lepra-Erreger fünf bis 20 Jahre nach der Infektion zu Symptomen führen.
Hautläsionen bei Lepra © Wikimedia
Anfangs zeigen sich charakteristische Hautläsionen als indeterminierte Lepra. Reagiert das Immunsystem gut, entwickelt sich eine tuberkuloide (paucibazilläre) Lepra ohne Beteiligung innerer Organe. Als schwerste Form bewerten Ärzte die lepromatöse (multibazilliäre) Lepra. Hier verbreiten sich Bakterien über Blutgefäße, das Lymphsystem oder Nervenbahnen im gesamten Körper. Es kommt zur Zerstörung von Gewebe. Der Tod tritt meist durch schwere Sekundärinfektionen ein. Zwischen beiden Extremformen liegt die Borderline-Lepra als instabile Variante, die je nach Zustand des Immunsystems zur tuberkuloiden oder lepromatösen Form werden kann.
Doch soweit muss es nicht kommen. Laut aktuellen WHO-Angaben ist es Ärzten gelungen, zwischen 1995 und 2015 rund 16 Millionen Patienten zu therapieren. Der direkte Nachweis einer Infektion gelingt bei der lepromatösen Lepra über Ziehl-Neelsen-Färbungen. Als Material verwenden Ärzte Lymphe der Unterhaut oder Sekret der Nasenschleimhaut. Handelt es sich um die tuberkuloide Form, funktioniert das Verfahren kaum. Bleibt als Goldstandard, per Polymerase-Kettenreaktion nach bakteriellem Erbgut zu fahnden. Lässt sich Mycobacterium leprae nachweisen, rät die WHO zur Multidrug Therapy (MDT).
Quellen: WHO, Deutsche Lepra- und Tuberkulosehilfe e.V. Gegen ein Erythema nodosum leprosum (ENL) haben sich Prednison/Prednisolon und Thalidomid bewährt. Community Health Workers geben entsprechende Präparate vor Ort als Monatsrationen in Blistern aus, um die Therapietreue zu verbessern. WHO-Therapieregime als Blister für die Gabe vor Ort (PB: paucibazillär; MB: multibazilliär). © Wikimedia
Mit der Pharmakotherapie von Erkrankten ist es aber nicht getan. „Wenn wir den Kampf gegen Lepra gewinnen wollen, müssen wir die potenziellen Übertragungswege unterbrechen“, erklärt Dr. Ann Aerts, Leiterin der Novartis Stiftung. Sie hat eine neue Strategie aus mehreren Komponenten entwickelt. Dazu gehören Früherkennung und Behandlung infizierter Menschen, aber auch der Ausbau der Überwachungssysteme für mehr Handlungsorientierung, die Entwicklung von Diagnosetests für eine schnellere und frühzeitigere Erkennung der Krankheit, das Contact Tracing und prophylaktische Behandlungen. "Wir besuchen auch die Kontaktpersonen des Erkrankten, also die Menschen, die mit ihm leben oder arbeiten. Wir untersuchen sie alle auf Lepra“, so Aerts weiter. „Zeigen sie keine Symptome, bieten wir ihnen eine vorsorgliche Behandlung an.“ Die Novartis Stiftung spendet voraussichtlich bis zum Jahr 2020 Medikamente zur Lepra-Therapie. Jubelstimmung bricht trotzdem nicht aus.
„Nachdem die Zahl der weltweiten Neuinfektionen dank internationaler Bemühungen in den vergangenen Jahrzehnten stark zurückgegangen war, ist es in den letzten zehn Jahren zu einem Stillstand gekommen“, kritisieren RKI-Experten im „Epidemiologischen Bulletin“. Als Grund sehen sie vor allem, dass „Mittel für Prävention und Forschung reduziert und infolgedessen Lepra-Programme zurückgefahren worden sind“. Die Folgen liegen auf der Hand: Auf neue, innovative Wirkstoffe warten Ärzte seit Jahren vergebens. Wann Hersteller erste Impfstoffe auf den Markt bringen werden, lässt sich trotz intensiver Forschung derzeit nicht sagen. Tuberkulose-Vakzine auf Basis des Bacillus Calmette-Guérin (BCG) bieten einen gewissen Schutz - bei unklarer Datenlage [Paywall]. Und so liegt das WHO-Ziel, Lepra global auszurotten, in weiter Ferne.