Die Ausbrüche der Ebola- und Zika-Viren haben gezeigt, wie schnell sich Epidemien im Zeitalter von globaler Mobilität ausbreiten. Ein weiteres Beispiel ist das Chikungunya-Fieber. Hier könnten bereits zugelassene Medikamente gegen die Viruserkrankung eingesetzt werden.
Seit 2013 breitet sich das von Mücken übertragene Chikungunya-Virus in Südamerika und der Karibik aus und bedroht nun auch Südeuropa und die südlichen Staaten der USA. Es löst grippeähnliche Symptome mit Fieber und Gelenkschmerzen aus, die teilweise mehrere Monate andauern und in Einzelfällen zum Tod führen können. Das Fehlen von Impfstoffen und Medikamenten gegen das Virus macht deutlich, dass die Entwicklung neuer Medikamente zu zeitaufwändig ist und auf neue Viren nicht schnell genug reagieren kann. Auch wenn das Virus häufig nur leichte Symptome auslöst, leiden einige Patienten an lähmenden, Arthrose-ähnlichen Schmerzen, die mitunter jahrelang andauern. Die Entwicklung neuer Medikamente ist teuer und zeitaufwendig bei gleichzeitig geringen Erfolgsaussichten. Neu auftretende Epidemien erfordern jedoch eine schnelle Reaktion. Gemeinsam mit seiner Forschungsgruppe hat Thomas F. Meyer am Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie nun eine neue Strategie erarbeitet, um schnellere Erfolge zu erzielen: In einem ersten Schritt werden Proteine ausfindig gemacht, die bei der Virus-Infektion eine Rolle spielen. Substanzen, die gegen genau diese Proteine wirken, werden in einer zweiten Phase dann dazu verwendet, die Infektion zu verhindern. Diese Strategie könnte den Entwicklungsprozess dramatisch beschleunigen und Medikamente schnell auf ihre grundsätzliche Wirksamkeit testen.
Dahinter steckt die Überlegung, dass alle Krankheitserreger bei der Vermehrung auf Proteine angewiesen sind, die von der Wirtszelle gebildet werden. Die Wissenschaftler müssen also solche essenziellen Proteine der Wirtszelle identifizieren. Die Forscher des Berliner Max-Planck-Instituts schalteten in menschlichen Zellen einzelne Gene aus und infizierten die Zellen mit dem Virus. Anschließend analysierten sie, ob sich das Virus trotz der fehlenden Gene noch vermehren kann. Dabei fanden die Forscher mehr als 100 Wirtsproteine, die das Chikungunya-Virus zur Vermehrung braucht. Gemeinsam mit der Arbeitsgruppe um Marc Lecuit am Pasteur-Institut, einem führenden Experten im Bereich der Erkrankung, den Kollaborationspartnern am Steinbeis-Innovationszentrum und der Charité in Berlin, der Universität München und dem Institut für Technik in Tartu, Estland, suchten sie anschließend nach bereits bekannten Stoffen, die einen Effekt auf die vielversprechendsten Wirtsfaktoren haben.
Mit diesen testeten sie dann den Verlauf der Chikungunya-Infektion in Zellkulturen und in lebenden Tieren. Die Forscher identifizierten zwei Substanzen, darunter ein vielverwendetes Antipsychotikum, die in Mäusen die Chikungunya-Viren hemmten und keine toxischen Nebeneffekte auslösten. Die Kombination beider Substanzen war dabei besonders effektiv. Weitere Experimente sollen nun den Weg zu einem Einsatz am Menschen ebnen. Die Ergebnisse haben aber möglicherweise noch einen weiteren Nutzen. „Wir haben verglichen, welche Gene mehrere unverwandte Viren für eine Infektion brauchen“, erklärt Alexander Karlas, Virologe am Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie. „Dabei haben wir herausgefunden, dass es mehrere Wirtszellproteine gibt, die nicht nur vom Chikungunya-Virus, sondern auch von anderen Viren benötigt werden.“ Auf diese Weise könnten also antivirale Medikamente mit breitem Einsatzspektrum entwickelt werden. Dies könnte dem Kampf gegen neu auftretende Viren neuen Schub verleihen. Originalpublikation: A human genome-wide loss-of-function screen identifies effective chikungunya antiviral drugs Alexander Karlas et al.; Nature Communications, doi: 10.1038/ncomms11320; 2016