Best of Blogs | „Ist denn da unten auch alles dran?“, diese besorgte Frage hört man als Kinderarzt häufig. Bei allen Vorsorgeuntersuchungen checke ich bei den Jungen die Lage der Hoden. Denn eine Fehlanlage kann weitreichende Folgen haben – auch für die spätere Familienplanung.
Vater: „Ist denn da unten auch alles dran?“
Ich mache gerade die U3 bei seinem Sohn und während die Mutter damit beschäftigt ist, ihrem Sohn andauernd den Schnuller in den Mund zu stecken, den dieser aber sofort wieder hinausbefördert, sieht Vater sehr genau hin, was ich mache.
Ich: „Ja, sieht alles normal aus.“
Penis, Skrotum, Hoden. Vorhaut an der richtigen Stelle, natürlich noch eng. Keine Verlegung der Glans oder des Orificiums, alles prima.
Vater: „Die Kronjuwelen auch?“
Ich: „Ja, auch die.“
Interessant, dass die meisten Leute sich gar nicht so sehr dafür interessieren. Interessant auch, dass viele Eltern, gerade auch die Väter, wenig darüber wissen, wie es „da unten“ bei den Jungs so aussieht. Frauen gehen mit den Genitalien ihrer Töchter wesentlich entspannter um, aber auch da gibt es mal Fragen zu dieser oder jener Rötung oder zu anatomischen Veränderung. Doktor Sommer lässt grüßen.
Die Untersuchung der Hoden
Die Hoden, also die Kronjuwelen, die Kugeln, die Nüsse, die Erbanlagen des Jungen sollten typischerweise bei Geburt im Skrotum, also dem Hodensack, tastbar sein. Dies dürfte bei über 95 Prozent aller reifgeborenen Jungen der Fall sein.
Ist dies bei Geburt noch nicht so, vielleicht auch bei der U2 oder U3 nicht, beginnt die Suche. Der Kinderarzt betastet den Leistenkanal, streicht ihn nach unten aus – manche Hoden hängen an einem sehr kurzen Samenstrang, manches Skrotum hat einen so starken Cremasterreflex (die Muskulatur um den Hodensack), dass dabei die Hoden sehr weit Richtung Leiste rutschen. Gelingt dieses Manöver des Abstreichens ist alles prima. Wir wiederholen diese Prozedur bei allen „kleinen“ Vorsorgen, also bis zur U7, danach ist es sehr unwahrscheinlich, dass ein zuvor tastbarer Hoden plötzlich nicht mehr zu finden ist. Dennoch schaut man ebenso bei den „großen“ Vorsorgen, also mit drei, vier und fünf Jahren, routinemäßig nach den Nüsschen. Dazu reicht ein Blick, schließlich geht es auch um die Entwicklung des Genitales, der Vorhaut und der Beurteilung eines möglichen Leistenbruches oder ähnlichem.
Bei Schulkindern und Jugendlichen geht das dann nur noch mit dem Okay des Patienten. Meist haben die Jungs nichts dagegen, wenn Experte Doktor mal schaut, ob alles so ist, wie es sein soll – wer sollte es ihnen auch sonst sagen?
Welche Veränderungen der Hodenlage kann es geben?
Wie bereits erwähnt: Die Hoden sind in aller Regel bei Geburt deszendiert, also „abgestiegen“, dies erfolgt während der letzten Wochen der Embryonalzeit und darf noch bis zu einem halben Jahr andauern. Ab dann wird es interessanter.
Mögliche Hodenlagen können sein:
Bis auf die Pendelhoden sollten alle anderen Varianten behandelt werden, da sonst der zukünftigen Familie Unfruchtbarkeit droht (der Hoden muss außerhalb des Bauchraums liegen, sonst ist es den Spermien zu warm, sie werden nicht ausreichend gebildet bzw. sind nicht bewegungsfähig genug), zum anderen bedeutet ein ektoper (fehlgelegener) Hoden ein erhöhtes Risiko (5–10 %) für eine Tumorentstehung.
Wann wird behandelt?
Ab sechs Monaten. Zunächst mit Hormonspritzen oder Nasensprays, später dann, wenn nötig, mit einer Operation. Dabei wird der (wenn vorhanden) Hoden im Hodensack festgenäht (Orchidopexie), die Hormonbehandlung hat eventuell zu einer Mobilisierung des Samenstrangs beigetragen. Oder der Hoden wird (wenn bisher nicht erfolgt) im Abdomen gesucht und meist dann entfernt, da eine Mobilisierung unterhalb der Leiste in aller Regel nicht gelingt.Der Abschluss der Behandlung sollte mit dem ersten Geburtstag gelungen sein. Wir haben also ein Zeitfenster von einem halben Jahr. Dank der Vorsorgen U5 und U6 werden die meisten Jungen mit Hodenfehlanlagen frühzeitig erkannt.
Vater: „Wenn ich die Windel aufmache, dann sind manchmal die ... äh, Hoden weg.“
Ich: „Ja, das ist der Kältereiz. Da gehen die auf die Flucht. Das kommt wohl aus der Urzeit, wenn die Männer vor der Gefahr wegrannten, dann zog der Körper die Hoden näher an den Körpermittelpunkt. Damit sie nicht im Weg waren beim Laufen.“
Vater: „Ah, ja ... Ja, das kenne ich.“
Bildquelle: young shanahan, flickr