Aus der Reihe „Dinge, die du als Arzt in der Ambulanz so hörst“ – eine Geschichte, die an sich schon lehrreich ist. Und ein wahrlich heißes Thema.
Ganz blass und kaltschweißig sitzt Ayaz auf der Untersuchungsliege im Notfallzimmer. Gerade ist es etwas ruhiger, die obligatorischen fünf Zecken habe ich schon entfernt, ein paar Kinder mussten angesehen werden, weil der Kinderarzt nicht mehr da war (und – natürlich – keine Vertretung habe) und auch die üblichen „Bauchweh seit zwei Wochen“ habe ich heute bereits gesehen.
Ayaz geht es wirklich nicht gut. Seine Mutter sitzt neben ihm und drückt ihm ein nasses Geschirrhandtuch auf die Stirn. Sie ist viel kleiner als er, der Pubertätswachstumsschub hat ihn schon in die Höhe gezogen. Eigentlich ist er Fußballer, Handballer, Basketballer, man sieht es ihm an. Heute abend ist er nur ein armer Kerl mit Sonnenstich.
Ich: „Wie lange warst Du denn im Schwimmbad?“
Ayaz: „So vier oder fünf Stunden?“
Ich: „Aber nicht die ganze Zeit im Wasser, oder?“
Ayaz: „Nee, wir haben auch Pizza gegessen dazwischen. Gekickt. Tischtennis. Sowas.“
Ich: „Und nun?“
Ayaz: „Mir war schlecht. Ich bin nach Hause. Hab dann gekotzt. Zweimal.“
Ayazs Mutter: „War ganz übel, ganz blass. Viel Spucken.“ Sie schiebt ihm das Handtuch in den Nacken. Er schiebt sie weg.
Ich: „Genug getrunken hast Du schon?“
Ayaz: „Safe. Ja, klar.“
Ich: „Mütze? Irgendwas auf dem Kopf?“
Ayaz schnalzt. Zu uncool.
Ich: „Du musst Dich immer wieder abkühlen, weißt Du, oder? In den Schatten gehen. Viel trinken.“
Ayaz: „Weiß ich. Meine Posse wars.“
Ich: „Wie jetzt, wieso?“
Ayaz: „Ah ja, Alda, die Honks haben mich krass da liegen gelassen. In der knallen Sonne. Kacke, Alda. Bin eingeschlafen. Voll jenseits.“
Er schüttelt den Kopf über so viel Vertrauensmissbrauch.
Ich: „Na dann, ein oder zwei Tage Pause vom Schwimmbad. Bleibst ein bissel drin. Schön abkühlen, ausreichend trinken, lieber was Warmes...“
Ayaz: „Kein Freibad?“
Ich: „Ja.“ Ich nicke bestätigend.
Ayaz: „Alda...!“ Jetzt schüttelt er den Kopf über so viel Kontaktsperre, so viel fehlende Integration in seine Posse für zwei Tage.
Ich: „Am besten auch kein Handy. Kein Whatsapp. Den Kopf schonen.“
Ayaz: „ALDA...!“
Seine Mutter nimmt ihn in den Arm und tupft ihm nochmal mit dem Geschirrhandtuch über die Stirn. Sie nickt wissend.