Belgien und Nordrhein-Westfalen wollen Iodidtabletten einlagern, um die Bevölkerung bei etwaigen Störfällen in Kernkraftwerken rasch zu versorgen. Ohne gezielte Informationen zur Einnahme bringen die Präparate jedoch wenig.
Tihange und Doel, zwei belgische Kernkraftwerke nahe der deutschen Grenze, bereiten Politikern in NRW viel Kopfzerbrechen. Durch eine Havarie oder einen terroristischen Anschlag könnten Spaltprodukte austreten und Menschen in dicht besiedelten Gebieten gefährden. Besonders gefährlich ist Iod-131 mit einer physikalischen Halbwertszeit von acht Tagen. Es sammelt sich gasförmig in Zwischenräumen der Brennstäbe an und wird schnell freigesetzt, sollten Schutzmechanismen versagen. Das Isotop reichert sich in der Schilddrüse an. Es schädigt Zellen durch seine β- und γ-Strahlung. Studien mit Überlebenden aus Hiroshima, Nagasaki oder Tschernobyl zeigen einen klaren Zusammenhang zwischen dem Risiko, Schilddrüsenkarzinome zu entwickeln, und der Inkorporation von Iod-131. Computergestützte Simulation eines Störfalls, hier allerdings in Süddeutschland. In den gelb und orange eingefärbten Gebieten raten Wissenschaftler bei Kindern und Jugendlichen zur Einnahme von Iodidtabletten. Quelle: Bundesamt für Strahlenschutz
Um die Resorption zu verhindern, setzen Ärzte auf eine Iodblockade. Lannacher, ein Hersteller von Kaliumiodid-Tabletten mit 65 Milligramm des Salzes, empfiehlt in seiner Fachinformation folgende Dosierung:
„Der Nutzen einer sofortigen Schilddrüsenblockade mit hochdosiertem Iod als Kaliumiodid-Tabletten in solchen Situationen ist unbestritten“, schreibt Professor Helmut Schatz von der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie in seinem Blog. „Das sah man nach Tschernobyl in Polen, wo durch die sofortige Jodblockade – im Unterschied etwa zur Ukraine und zu Weißrussland – die Zahl der Schilddrüsenkarzinome bei Kindern und Jugendlichen nicht anstieg.“
Grund genug für die nordrhein-westfälische Landesregierung, um Kaliumiodid-Tabletten für alle Schwangeren und Minderjährigen zu erwerben. Eigentlich ist der Bund bei derartigen Maßnahmen in der Pflicht. Einer Sprecherin des NRW-Innenministeriums zufolge gebe es aber bislang keine Zeitvorgaben. Belgien hat ähnliche Pläne. Im nächsten Jahr sollen alle Bürger, die im Umkreis von 100 Kilometern um ein Atomkraftwerk leben, Kaliumiod-Tabletten für den heimischen Vorrat erhalten – bislang liegt der Radius bei 20 Kilometern. Die Maßnahme spart im schlimmsten Falle wertvolle Zeit.
Helmut Schatz schreibt dazu in seinem Blog: „Die WHO empfiehlt 130 Milligramm als Einmalgabe ein bis zwei Tage vor Eintreffen der radioaktiven Wolke. Drei Stunden nachher hat sie nur noch 50 Prozent, zehn Stunden später keine Wirkung mehr. Noch später kann sie sogar schaden, da dann das durch die Atmung schon aufgenommene radioaktive Jod langsamer ausgeschieden wird.“ Im Krisenfall ist nicht gesagt, dass etablierte Infrastrukturen vorhanden sind, um Bürger mit Kaliumiodid zu versorgen. Die Bevorratung zu Hause kommt dieser Problematik entgegen.