Wenn es hart auf hart kommt, wird der Mensch plötzlich ehrlich. Immer dann, wenn es ans Eingemachte geht. Und die Narkose ist für den Großteil der Bevölkerung etwas ganz und gar Eingemachtes. Als Anästhesist hört man deshalb ganz schön viele Geständnisse.
Ich trage keine Talar, aber bei mir beichten Menschen ihre Sünden. Bei mir wird kein Eid geschworen und ich erfahre trotzdem die ganze Wahrheit.
Bei manchen Menschen macht es schon in der Prämedikationsambulanz beim Vorgespräch mit dem Anästhesisten „Klick“. Da wird der Schalter auf den Ehrlichkeitsmodus umgelegt.
Der ein oder andere benötigt erst die Unterstützung des hellen OP-Lichts in dessen Angesicht dann kurz vor dem Einschlafen doch nochmal die ganz dunklen Flecken beleuchtet werden. Und dann kommen Sätze, die mit „Ich weiß nicht, ob Sie das wissen müssen, aber …“ anfangen.
Es geht um für den Anästhesisten so relevante Angaben wie das Gewicht. Drogeneskapaden. Übergewicht. Suff. Überübergewicht. Alkoholexzesse.
Ich besitze keinen Beichtstuhl und verweise auch nicht auf den Rosenkranz aber bei mir werden gesetzte Damen ganz ehrlich, wenn es um ihr Hüftgold geht oder der 13-jährige Teenie erzählt von seinem ersten Joint. Aus den „10 Zigaretten am Tag“ werden dann „wenn ich Stress hab so 20-30 und ab und an im Betrieb geht auch mal ne Line weg“. Aus einer Flasche Bier werden drei, aus den 95 kg Körpergewicht werden 115 kg.
Eine mir gut bekannte Kollegin fragte die ihr anvertrauten Patienten kurz vor dem Einschlafen gerne folgendes: „Jetzt müssen wir dem Sandmännchen nur noch sagen wie viel Sand wir zum Einschlafen benötigen. Die 120 kg sind richtig, ja?“ Von ihr habe ich auch gelernt, dass man bei der Gewichtsangabe „140 kg“ sehr vorsichtig sein müsse, da die meisten Waagen bei 140 kg aufhören. Nun gut, Narkose macht man sowieso immer noch nach Wirkung und nicht (nur) nach Gewicht.
Und dann war da noch der Kandidat zur Abszessausräumung. Drogenabusus seit Jahren.
„Gibt es außer dem Drogenkonsum noch etwas, was wir wissen sollten?“
„Nö.“
Von der floriden Hepatitis C und der AIDS-Positivität haben wir von der Kollegin erfahren. Sie kannte unseren Kandidaten zufälligerweise von einem vorherigen Intensivaufenthalt.
Vielen Dank auch. Scheint nicht bei allen zu funktionieren mit dem Beichtstuhl …