Als ich kurz nach dem Berufseinstieg das erste Mal auf der Intensivstation eingeteilgt wurde habe ich die Nacht vorher nicht gut geschlafen. Diese ganzen Kabel, Medikamente, Schläuche, Einheiten, Parameter und vor allem – ich kannte keinen der Kollegen. Weder von der Pflege noch von den Ärzten.
Es war kaltes Wasser und tief war es auch. Rückblickend muss ich sagen, hatte ich überhaupt keinen Plan. Wie gerne hätte ich damals jemanden gehabt, der mir mal praktisch (!) sagt, wie man an so einen Intensivpatienten rangeht. Körperliche Untersuchungen und Verordnungen macht ein Hausarzt ja auch und außerdem lernt man diese Basics ja im Studium, oder? Was soll daran also so schwer sein? Was unterscheidet denn den Intensivpatienten vom Patienten beim Hausarzt?
Mir fallen spontan 4 Punkte ein. Die Liste lässt sich aber bestimmt verlängern, aktive Mitleser vor:
Wie geht man jetzt also an einen Einsatz auf der Intensivstation ran?
Hier ein paar Tipps:
Du bist der oder die Neue, es gehört sich so, dass du dich bei deinen neuen Kollegen vorstellst und nicht umgekehrt. Das ist eine Frage der Höflichkeit. Es sei denn, du bist Kronfürstin Viktoria zu Krummbieg von der Hohenwiese und möchtest auch so behandelt werden. Wird dann aber keine schöne Zeit. Wichtig: Wir sind ein Team! Der Chefarzt ist genauso wichtig wie die Putzfrau, der Physiotherapeut genauso wichtig wie die Codierer. Also, begrüß sie alle, zur Not auch mehrfach. Und bring einen Kuchen oder eine Schüssel Süßigkeiten mit und schreib deinen Namen drauf. Klingt nach billig erkaufter Freundschaft? Klar, aber was im Supermarkt an der Kasse mit Kindern funktioniert, klappt bei uns schon allemal.
Was läuft morgens zuerst? Wer kann verlegt werden? Wer benötigt Diagnostik und wo melde ich die an, telefonisch oder elektronisch? Wann macht die Pflege Übergabe? Wann sind geeignete Zeiten für Prozeduren wie Katheterwechsel/Drainagen/Tracheotomien?
Ich habe von den erfahrenen Pflegekräften sehr viel gelernt. Ich habe von den Pflegekräften sogar sehr viel mehr gelernt als von meinen ärztlichen Kollegen. Von ihnen konnte ich mir nicht nur die kleinen Tipps und Tricks im Umgang mit zickigen Kathetern abgucken, es waren die Pflegekräfte, die wussten, wie man die Dialyse wieder zum Laufen bringt, wie man die Beatmung so einstellt, dass wieder Luft reingeht etc.
Das Arbeiten auf der Intensivstation macht sehr viel mehr Freude, wenn man Freunde hat. Es wird aber zur Hölle, wenn du dir Feinde in der Pflege machst. „Wer ist hier der Arzt?“ gehört nicht zu den Sätzen, die einem das leben leichter machen.
Das Reabrett, der Defibrillator, der Wagen für den schwierigen Atemweg, der Notfallwagen für Katheter, die Bronchoskope, Zugänge, Infusionen, Medikamente.
Im Notfall bleibt keine Zeit für Erklärungen. Kleinere Notfälle gibt es eigentlich jeden Tag, richtige Notfälle gar nicht so oft, wie man denken würden. Wenn es aber einen richtigen Notfall gibt, ist es besser, wenn man schon mal weiß, wo der Defibrillator steht und wie man ihn anmacht. Und wie man einen Blutdruck misst. Das ist doch banal? Nein, keineswegs. Bei den Defis der R-Serie von Zoll ist beispielsweise der Knopf für die Blutdruckmessung mitnichten – wie bei allen anderen Defibrillatoren – irgendwo im Menü zu suchen. Es ist ein kleiner Knopf an der Seite, den man meistens nicht sehen kann, weil ein Kabel davor hängt. Unabhängig davon ist es meiner Meinung nach eines der besten Geräte, aber das soll hier nicht Thema sein.
Genau wie in der Notfallmedizin sollte jeder Intensivpatient nach einem festen Schema untersucht werden. Dafür gibt es meistens standardisierte Untersuchungsbögen auf den Stationen. Irgendwas fehlt aber immer darauf. Ich habe noch nie einen wirklich guten kompletten Untersuchungsbogen gesehen. Deshalb hilft es auch, ein eigenes Konzept zu haben.
Wichtigster Punkt: Für jeden Patienten sollte für jeden Tag ein ganz konkretes (!) Therapieziel stehen. In den meisten Fällen ist das entweder eine Deeskalation der Therapie (z.B. mit dem Ziel der Verlegung auf die Normalstation) oder Eskalation der Therapie. Wie kann so ein konkretes Tagesziel aussehen? Zum Beispiel so:
Frag nach! Wie macht man? Sag am ersten Tag nicht: „Bei uns in Pusemuckel haben wir das so gemacht“. Das will keiner hören. Wirklich. Wir haben hier auch Strom und fließend Wasser und wenn in Pusemuckel alles besser war, dann wärste halt besser da geblieben. Besser ist es, das Positive hervorzuheben! Ihr habt ein festes Belegungsschema für die ZVKs? Das finde ich klasse, bei uns in … war das immer ein totales Durcheinander, das hat jeder gemacht wie er wollte.
Und deshalb frag nach Hausstandards/Standardvorgehensweisen und halte dich daran. Die Pflegekräfte werden es dir danken, wenn sie ein einziges und nur ein einziges Mal etwas genau so vorbereiten können, wie es dann auch ausgeführt wird.
Versuch nicht den souveränen Großmediziner zu spielen, wenn nichts dahinter steht. Wir sind alle vom Fach. Unterschätze niemals eine Pflegekraft. Du hast vielleicht an der Uni gelernt, dass Medikament X an Rezeptor Y geht. Die zuständige Pflegekraft weiß dafür, wann dieses Medikament wirkt, in welcher Konzentration es wirkt und warum man es bei diesem Patienten vielleicht besser nicht geben sollte.
Unterschätze niemals das Fachwissen eines Patienten, der seit 20 Jahren dialysepflichtig ist. Deine Theoriekenntnisse sind nichts wert ohne klinische Erfahrung! Und klinische Erfahrung bekommt man erst nach vielen Jahren, das kann man nicht beschleunigen.
„Die Pflege“ hat ein feines Gespür dafür, ob du dich für sie und die Patienten interessierst oder nicht. Nutze die Möglichkeit, die Viertelstunde bei der Übergabe dabei zu sein. Hör dir an, welche Probleme es bei den Patienten gibt, bring dich ein – wenn du gefragt wirst.
Du wirst recht bald feststellen, dass du im Alltag gut klarkommst. Dann kannst du in dem Trott weitermachen und dich die nächsten Monate und Jahre so durchschlagen. Der Anspruch an unsere Versorgung sollte aber darin bestehen, es nicht irgendwie, sondern so perfekt wie möglich zu machen. Deshalb lies, nutze FOAM (free open access medical education), frag deinen Chef nach aktuellen Zeitschriften und bearbeite sie. Melde dich für Vorträge zu Themen, die für dich wichtig sind, dir aber noch Kopfschmerzen machen. Das führt zu einer intensiveren Auseinandersetzung und einem anhaltenden Lerneffekt.
Und lies jeden Abend zwei bis vier Seiten in einem Buch über Intensivmedizin. Das dauert 10 Minuten, tut nicht weh und nach drei bis vier Monaten hast du das Buch durch. Und hast Patient Blood Management verstanden.
Diese Liste lässt sich, wie bereits erwähnt, beliebig erweitern, es soll nur ein Denkanstoß sein. Was es bei der Untersuchung eines Patienten auf der Intensivstation zu beachten gibt, werde ich in einem der nächsten Blogposts erklären, für heute und für den ersten Tag sollte das hier erstmal reichen.
PS: Ergänzungen und Erfahrungsaustausch von Fachpersonal sind willkommen und werden gerne eingepflegt!