Zika-Viren setzen ihren weltweiten Siegeszug fort. Mittlerweile sehen WHO-Experten auch Südeuropa in Gefahr. Sie hoffen auf bessere Diagnostika und innovative Vakzine. Bis die Notstandssituation unter Kontrolle ist, wird noch viel Zeit vergehen.
In Mittel- und Südamerika breitet sich das Zika-Virus nahezu ungehindert aus. Mehr als 1,5 Million Menschen haben sich seit 2015 angesteckt. Jetzt fordern mehr als 150 Wissenschaftler in einem offenen Brief, die olympischen Sommerspiele 2016 zu verlegen. Schon Anfang März schrieben Daniel R. Lucey und Lawrence O. Gostin, beide aus Washington, in einem Fachbeitrag [Paywall], es drohe die Ausbreitung auf weitere tropische Länder. WHO-Experten stellten kurz darauf Notfallkomitees zusammen und konstatierten den „öffentlichen Gesundheitsnotstand internationalen Ausmaßes“. Doch die Krise ist noch lange nicht vorbei. Weitere Hiobsbotschaften folgten.
Zsuzsanna Jakab, WHO-Direktorin für Europa, rechnet in einer aktuellen Stellungnahme spätestens bis zum Sommer mit Zika-Infektionen auf unserem Kontinent. Im August werden abertausende Menschen zu den olympischen Spielen 2016 reisen – und beim Rückflug Vektoren weiterverbreiten. Als besonders gefährdet gelten Jakab zufolge die Insel Madeira und die Schwarzmeerküste Georgiens beziehungsweise Russlands. Für 18 Mittelmeerstaaten wie Frankreich, Italien, Spanien, Kroatien, Griechenland und die Türkei, bewertet sie das Risiko als „mäßig“. Behörden vor Ort bleibt momentan nur, Vektoren wie Gelbfiebermücken und asiatische Tigermücken zu bekämpfen. Außerdem planen sie, Bürger besser zu informieren. Mit Repellentien oder Hinweisen zur richtigen Kleidung ist es aber nicht getan, wie aktuelle Veröffentlichungen zeigen. Weltweite Ausbreitung von Zika-Viren. Quelle: Khamar / Wikipedia
Mehrfach berichteten Ärzte in den letzten Wochen von sexuellen Übertragungen des Virus. Einen Fall aus Deutschland beschreibt das Berliner Robert Koch-Institut. Der Patient hatte sich in der Karibik angesteckt und durch ungeschützten Geschlechtsverkehr seine Frau infiziert. Sie erkrankte zwei Wochen nach ihrem Partner, ohne kritische Regionen jemals besucht zu haben. Bluttransfusionen kommen als weitere Risikoquelle mit hinzu. Hier existieren zurzeit vor allem Einzelfallbeschreibungen. Das Gebot der Stunde lautet jetzt, Infektionen besser nachzuweisen.
Derzeit bestimmen Ärzte zur Diagnostik vor allem viralen RNAs. In Mittel- und Südamerika verwenden sie sechs früher entwickelte PCR-Tests. Doch wie sieht es mit der Verlässlichkeit aus? Gelingt es, Virus-RNA auch bei sehr geringer Konzentration aufzuspüren? Wie empfindlich reagieren Analysesysteme auf verschiedene Zika-Virenstämme, und sind ihre Ergebnisse miteinander vergleichbar? Jetzt haben Professor Dr. Felix Drexler und Professor Dr. Christian Drosten PCR-Tests unter die Lupe genommen. Sie arbeiten am Deutsches Zentrum für Infektionsforschung beziehungsweise an der Uni Bonn. Ohne ergänzende serologische Diagnostik könne es bei 20 bis 80 Prozent aller Patienten zu fehlerhaften Diagnosen kommen, schreiben Drexler und Drosten. Einige Systeme waren nicht empfindlich genug, andere erfassten nur bestimmte Stämme. Antikörper lassen sich erst nach acht Tagen diagnostisch verwerten. Wissenschaftler befürchten deshalb, dass zahlreiche Infektionen mit dem Virus überhaupt nicht erkannt werden: eine fatale Situation für Schwangere. Mittlerweile steht fest, dass Fehlbildungen des Gehirns von Föten mit Zika-Viren in Zusammenhang stehen. Ein Team um Patricia Beltrao-Braga von der Universität Sao Paulo konnte im Tierexperiment zeigen, dass Zika-Viren intrauterine Wachstumsstörungen auslösen. Michael Diamond von der Washington University School of Medicine in St. Louis fand heraus, dass sich Viren anfangs in der Plazenta vermehren, bevor sie auf das Gehirn von Feten übergreifen. Wissenschaftler haben im Mausmodell nachgewiesen, wie Zika-Viren den Fetus schädigen. Quelle: Miner et al., 2016, Cell. Ein Grund mehr, um diagnostische Systeme zu optimieren. Deshalb stellen Bonner Forscher zwei optimierte PCR-Tests vor. Sie beschreiben auch Möglichkeiten zur Kalibrierung über synthetische RNAs. Nukleinsäuren aus dem Labor enthalten unterschiedliche relevante Zielregionen der Virus-RNA. Ihre Veröffentlichung haben Drexler und Drosten bereits vorab der WHO zur Verfügung gestellt, um möglichst viele Kollegen zu erreichen. Auch ihren Kalibrator und ihre Testprotokolle bieten sie weltweit kostenlos an. Gleichzeitig hoffen Ärzte auf einen Impfstoff.
Brasiliens Gesundheitsminister Ricardo Barros berichtet jetzt, man komme mit der Entwicklung schneller voran als erwartet. Labors der Universität Texas und des Instituto Evandro Chagas im brasilianischen Pará arbeiten eng zusammen. Bereits nach neun Monaten, sprich im November, rechnet Barros mit ersten Tests an Affen und Mäusen. Er war zunächst von zwölf Monaten Vorlaufzeit ausgegangen. Spätestens bis 2018 soll der Impfstoff im Markt erhältlich sein. Davon haben Patienten, aber auch Einwohner gefährdeter Regionen, momentan recht wenig.