Der Narkosedoc hat einen Wunsch zu Weihnachten. Ich wünsche mir, dass sich jeder User im Internet, bevor er seinen Senf von sich gibt, mal überlegt, ob er das guten Gewissens so auch seiner Mutter vorlesen könnte. Oder, um Mutti mal außen vor zu lassen, ich würde mich freuen, wenn ein jeder mal vor dem Absenden überlegt, ob dieser Kommentar die Welt ein Stück besser oder schlechter macht.
Dieses ewige Genörgel und Schlechtmachen. Ganz zu schweigen von der einfach stumpf rassistischen und völkisch angehauchten Dummlaberei im Schutz der vermeintlichen Anonymität. Kommentare werden gelesen. Nicht selten sogar von den Menschen, an die sie sich richten. Kommentare können verletzen und krank machen. Ich habe vor ein paar Monaten tagelang über einige Kommentare gegrübelt und war drauf und dran, dem einen oder anderen ein wutentbranntes JETZTPASSMALAUFDU**** über die Tastatur entgegen zu schleudern.
Warum ich es nicht gemacht habe? Weil ich den Hass so leid bin. Den Hass gegen Ausländer, gegen Besserverdiener, gegen den Nachbarn, der wieder falsch geparkt hat, den Hass gegen dies und jenes und alles. Ich habe das Gefühl, dass eine viel zu große Menge Menschen von ihrem Leben, Job oder was auch immer frustriert ist und sich dann erstmal ans Internet setzt, um all ihre Unzufriedenheit und den Ärger über die eigene verpfuschte Existenz aus sich heraus zu lassen.
Im Internet kann jeder sein, wer er will?
Wenn ich schon im echten Leben nichts zu melden habe, dann wenigstens im Internet. Da kann man sich einen Doktortitel geben und dann mal richtig vom Leder ziehen. Blöd nur, wenn die Rechtschreibfehler dann erahnen lassen, dass sowohl der Titel als auch der vorgegebene Beruf („Ich als Notarzt …“) erstunken, erlogen und im echten Leben unerreichbar sind.
So mancher Kommentar hat mich so geärgert, dass ich ihn einfach nicht so stehen lassen konnte. Andererseits – don’t feed the trolls. Es wäre zu aufwendig, einem kleinen unbedeutenden Internettroll klar zu machen, warum ich in einer bestimmten Situation so und nicht anders entschieden habe. Die meisten verstehen ja noch nicht mal, warum wir bei einem Notfall nicht rennen – wie soll man ihnen dann komplexe, medizinische Sachverhalte erklären?
Shoutout an alle Trolle da draußen
Und wenn der kleine Troll eine Meinung hat, dann hat er die. Da helfen ja alle Argumente nichts. Totschlagargument bleibt die böse Pharmalobby, die hat uns Ärzte ja sowieso alle gekauft. Natürlich polemisieren manche Gedanken, die ich hier schreibe. Ich freue mich auch, wenn darüber diskutiert und miteinander geredet wird. Viele Kommentare habe ich als bereichernd empfunden und schätze die differenzierte Meinung mancher, die hier kommentieren und Trolle korrigieren. Danke dafür!
An alle Trolle: Egal wie dumm, falsch oder borniert dir ein Artikel oder einzelner Gedanke von mir erscheint, denk doch bitte nach, bevor du auf „senden“ klickst. Wird dein Kommentar etwas Gutes bewirken oder willst du nur Dampf ablassen? Dann geh lieber ins Fitti und nicht ins Internet.
Schimpfen und beschweren vs. einfach mal die Klappe halten
Ich wünsche mir, dass weniger Hass gesät und stattdessen einfach häufiger mal gesagt wird, was wir am anderen toll finden oder worüber wir uns freuen. Ich war letztens bei einem großen Burgerbrater und wurde sehr nett und sehr freundlich bedient und der Typ meinte, ich solle mich schon mal hinsetzen, er würde mir das Essen gleich bringen.Das war so außergewöhnlich, dass ich hinterher nochmal hingegangen bin und mich für die ungewöhnlich freundliche Bedienung bedankt habe – das Gesicht war unbezahlbar! Der Typ hat laut gelacht, sich riesig gefreut und mit seiner guten Laune die Kollegen angesteckt.
Es geht auch anders. Wir werden zu einem hypertensiven Notfall mit RTW + NEF Altenheim gerufen. Vor Ort dann ein Blutdruck von 165/90.
Da kann man sich ganz schnell und quasi anonym über die bräsige Leitstelle aufregen und mal richtig die Sau rauslassen. Wieso macht man denn bei einer derartigen Lapalie so ein Fass auf? Tatsächlich wissen wir nie, welcher von den etwa 12 Disponenten in der Leitstelle gerade den Auftrag angenommen und abgearbeitet hat, deshalb lässt es sich anonym und so ganz unter uns im RTW oder NEF viel leichter über die da von der Leitstelle schimpfen.
In der Leitstelle ist es nicht leicht
Tatsächlich wissen wir aber gar nicht, was der Anrufer gemeldet hat. Sprach der Anrufer unsere Sprache? Wurden vielleicht noch andere Dinge mitgeteilt, die sich vor Ort als falsch herausgestellt haben?
Ich kann nur jedem im Rettungsdienst tätigen Kollegen raten – und hier meine ich insbesondere und explizit die ärztlichen Kollegen –, sich mal einen Tag in die Leitstelle zu setzen und selber mal zu disponieren. Aus der Ferne eine Diagnose zu stellen und dann auch noch das richtige Rettungsmittel einzusetzen, ist viel komplizierter, als man denken würde. Da sitzt ein Mensch, sicher nicht unfehlbar, aber eben auch kein Fleischklumpen, den man einfach mal nach aktueller Tageslaune aufs Übelste beschimpfen darf.
Wir brauchen gegenseitigen Respekt
Sting (der Sting von The Police) hat auf seinem Konzert in Berlin mal erzählt, dass wir alle die Tochter und der Sohn von irgendjemandem sind. Aus meine Sicht ein total starkes Bild. Selbst der bräsige, dickbäuchige Nachbar mit dem Alkoholproblem, der immer so nach Schweiß riecht, hat eine Mutter, für die ihr Sohn sehr wichtig ist, mit all seinen Problemen. Kein Mensch ist unwichtig oder egal. Wir alle sind für irgendjemandem wichtig und wertvoll und sollten deshalb nicht hassen, sondern den anderen zumindest respektieren. Liebe ist für den Anfang vielleicht ein bisschen zu viel verlangt und ein großes Wort. Respekt vor dem Leben, dem anderen Menschen – Respekt sollte drin sein. Ich wünsche mir, dass wir gegenseitig ein bisschen mehr aufeinander achtgeben. Die Tür aufhalten, dem anderen die Vorfahrt lassen, von den 80 gebackenen Keksen dem Nachbarn mal fünf auf einem Teller vorbeibringen. Kostet nichts extra, macht keinen Aufwand, wären sowieso am Ende übrig geblieben und weggeschmissen worden. Hier bietet sich die Möglichkeit für eine kleine nette Geste.
Resignation ist keine Option.
Ich möchte nicht in einer Gesellschaft leben, in der ein Wort wie „Gutmensch“ als Schimpfwort missbraucht wird. Ich hoffe sehr, ein Gutmensch zu sein, ein guter Mensch. Ein hoher Anspruch und ein lebenslanges Ziel. Aus Wut dagegen entsteht Hass, aus Hass entsteht Gewalt, Gewalt schreit nach Rache und Rache ist das primitivste aller Gefühle. Damit kann keiner etwas Gutes tun. Wut und Hass zerstören, bauen nichts auf und helfen niemandem weiter. Nicht dem, der hasst und nicht dem, der gehasst wird.
Ich bin der festen Überzeugung, dass das Gute, was ich in die Welt trage, irgendwann zu mir zurückfindet. Ob im Ehrenamt, in der Kirche, im Kleinen oder im Großen. Nennt mich einen hoffnungslosen Optimisten, nennt mich einen Gutmenschen. Aber Resignation ist keine Option.
Danksangungen und gute Wünsche
Ich bedanke mich bei allen von mir sehr geschätzten Lesern, die mir 2017 einen netten Kommentar hier gelassen haben. Ich bedanke mich bei allen, die mir einen Tipp zukommen lassen oder sich für einen Tipp bedankt haben. Ich danke auch und vor allem DocCheck, dass sie meinen Blog featuren und mich unterstützen und im Speziellen einer besonderen Mitarbeiterin, die mit mir immer wieder konstruktive Gespräche führt und mich ermutigt, weiterzumachen, auch wenn mal Gegenwind kommt. Danke M.!
Allen Klinikern, Notfallmedizinern und Blaulichtberufenen wünsche ich ein frohes Fest mit ruhigen Tagen ohne Dienst, ohne Blaulicht und ohne Stress. Allen Patienten wünsche ich gute Genesung und falls Sie hier sind, weil Sie bald operiert werden und eine Narkose brauchen – die machen das schon!
Ich wünsche allen ein wunderbares Fest mit ganz vielen lieben Menschen um euch herum. Ich freue mich auf 2018 mit Euch!
Hohoho, der Narkosedoc