In wenigen Monaten haben Versicherte Anspruch auf individuelle Medikationspläne. Apotheker bewerten das Konzept als „zu kurz gesprungen“ und fordern umfangreichere Leistungen. Angesichts der möglichen Kosten gehen GKVen lieber auf Tauchstation.
Primum non nocere – diese Maxime verletzen Ärzte bei so mancher Pharmakotherapie. Wie Professor Dr. Dr. Achim Schmidtko, Frankfurt am Main, auf der pharmacon berichtet, sterben Jahr für Jahr 2.000 Menschen an gastrointestinalen Komplikationen durch NSAIDs. Komedikationen und Komorbiditäten würden nicht ausreichend berücksichtigt.
Kein Einzelfall: Über wenig Arbeit braucht sich die Arzneimittelkommission der Deutschen Apotheker (AMK) nicht zu beklagen. Im Jahr 2015 haben Kollegen rund 8.400 Verdachtsfälle von Arzneimittelrisiken gemeldet, das sind fünf Prozent weniger als in 2014. Zirka 90 Prozent der Meldungen betrafen Pharmaka, allen voran Rx-Präparate (5.831 Berichte), gefolgt von OTCs (1.783). Medizinprodukte (476), Lebensmittel respektive Nahrungsergänzungsmittel (145), Teedrogen oder Chemikalien (82) rangierten unter ferner liefen. Etwa ein Drittel aller AMK-Meldungen entfiel auf unerwünschte Wirkungen. In diese Kategorie gehören auch Medikationsfehler. Quelle: AMK
Dass pharmazeutische Leistungen die Arzneimitteltherapiesicherheit verbessern, ist mittlerweile auch in Berlin angekommen. Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) hat deshalb im E-Health-Gesetz eine umstrittene Maßnahme verankert. Versicherte, die drei oder mehr Arzneimittel als Dauermedikation einnehmen, erhalten ab Oktober 2016 regelmäßig ausgedruckte Medikationspläne. Ärzte haben hier die Federführung übernommen, während Apotheker Änderungen aufnehmen müssen. Anfang Mai verständigten sich die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV), die Bundesärztekammer (BÄK) und der Deutsche Apothekerverband (DAV) über Details. Dr. Andreas Kiefer. Foto: ABDA „Die Vereinbarung zeigt aber deutlich die bereits im Gesetz angelegte Schräglage: Die Aufgaben des Apothekers sind nicht ausreichend präzisiert und die zentrale Rolle des Apothekers bei der Arzneimitteltherapiesicherheit wird nicht ausreichend anerkannt“, kritisierte Dr. Andreas Kiefer, Präsident der Bundesapothekerkammer (BAK), vor wenigen Tagen auf der pharmacon.
Ein Medikationsplan ohne begleitende Medikationsanalyse und kontinuierliches Medikationsmanagement sei „zu kurz gesprungen“, so Kiefer weiter. Dies könne nur ein „erster Schritt sein“. Zu den Unterschieden liegt mittlerweile ein Grundsatzpapier vor. Ab 2018 soll der Medikationsplan auch elektronisch von der Gesundheitskarte abrufbar sein, ohne dass weitergehende Leistungen in Planung wären. „Wenn es uns nicht gemeinsam gelingt, den elektronischen Medikationsplan besser als Werkzeug zur Herstellung von Arzneimitteltherapiesicherheit zu konzipieren als die Papierversion, ist das nur noch mehr Bürokratie ohne Nutzwert für den Patienten“, moniert der BAK-Präsident.
Dass sich gesetzliche Krankenkassen mit dem kaum sinnvollen Medikationsplan zufriedengeben, hat möglicherweise rein ökonomische Gründe. Aktuelle Schätzungen des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO) zeigen jetzt, wie viele Menschen Anspruch auf diese Leistungen haben. Dazu nahmen Versorgungsforscher Daten von mehr als 24 Millionen AOK-Versicherten unter ihre Lupe. Insgesamt zählen 30 Prozent aller Mitglieder, als 7,5 Millionen Personen, zur Zielgruppe des Medikationsplans. Bei Versicherten über 75 Jahren sind es sogar drei Viertel. Die Zahlen weisen mehrere Schwachstellen auf. Aus Abrechnungsdaten folgt nicht zwangsläufig die Dosierung von Medikamenten. Unklar ist auch, wie viele Versicherte tatsächlich einen Medikationsplan wünschen – Verpflichtungen gibt es nicht. Trotzdem zeigen sie, wie groß die mögliche Zielgruppe ist. Gemessen an umfangreichen Leistungen zum Medikationsmanagement ist der Medikationsplan als kleine, wenn auch wenig sinnhafte Lösung eher preiswert. Dazu ein Blick auf mögliche Kosten.
Genaue Zahlen nennt derzeit niemand. Noch im Juni wollen die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) und der GKV-Spitzenverband Regelungen zur ärztlichen Vergütung vorstellen. Hermann Gröhe verpflichtet Apotheker zwar, Daten zu aktualisieren. Ein Honorar sieht er aber nicht vor. Doch welcher Obolus wäre für Health Professionals generell angemessen? Experten veranschlagen als grobe Schätzung eine Minute Zeit pro zu erfassendem Medikament und eine weitere Minute für teils automatisierbare Interaktionschecks. Bei einem Patienten mit vier Rx-Präparaten und drei OTCs führt das zu etwa 15 Minuten für die einmalige Erstellung seines Medikationsplans. Pro Quartal kalkulieren Gesundheitsökonomen mit maximal fünf Minuten, um Änderungen zu erfassen. Das führt in Summe zum Zeitaufwand von etwa 30 Minuten pro Kopf und Jahr. Bei einem apothekerlichen Brutto-Tarifgehalt von 3.600 Euro pro Monat und 40 Wochenstunden ergeben sich 45 Euro pro Patient und Jahr für einen Medikationsplan. Angestellte Fachärzte kommen im Geltungsbereich des Tarifvertrags auf deutlich höhere Bruttogehälter. Setzt man 6.000 Euro und 42 Wochenstunden an, kostet jeder Medikationsplan mehr als 70 Euro. Alle Abschätzungen unterliegen großen Schwankungen. Bleibt zu hoffen, dass der GKV-Spitzenverband und die KBV eine Honorarstaffelung entwickeln, die sich am tatsächlichen Aufwand orientiert. Apotheker haben davon aber nichts.