BEST OF BLOGS | Der Tod ist eine feste Konstante meiner Arbeit als Intensivmediziner. Manchmal ist er ein Gegner, den wir erfolgreich bekämpfen. Manchmal ist er wie ein nicht eingeladener Gast auf einer Party. Ist er da, wird es in jedem Fall emotional.
Ich habe kleine Kinder und sehr alte Leute sterben sehen. Notare, Pfarrer, den steinreichen Metzger und die bettelarme an der Gesellschaft gescheiterte Drogenabhängige. Menschen mit Lungenkrebs, Lungenentzündung, Blutvergiftung, Herzinfarkt und Hirnblutung. Den meisten ist es vergönnt, in Anwesenheit der sie liebenden Familie auf die letzte Reise zu gehen. Viel zu viele sterben alleine.
Dann stelle ich mich als behandelnder Arzt ans Bett und halte die Hand. Auf der anderen Seite steht die betreuende Pflegekraft.
Ich spreche für mich und für den gerade sterbenden Menschen ein Gebet. Im EKG sieht man ein paar letzte elektrische Entladungen, so individuell wie ein Fingerabdruck. Die Menschen wissen nicht mehr, wie es aussieht, wenn jemand stirbt. Jeder Sterbeprozess ist sehr einzigartig, vieles aber haben alle gemeinsam: das Brodeln des Lungenwassers in den Lungen und das für Außenstehende beängstigende Schnappen nach Luft. Alles Dinge, die der Mensch – nach allem, was wir wissen – nicht mehr mitbekommt. Dennoch geben wir großzügig Morphin, es schirmt ab, löscht Schmerzen aus, nimmt Luftnot und Angst.
Wir schließen dann die noch offenen Augen, nachdem der letzte Herzschlag geschlagen ist. Machen den Monitor aus. Falten die Hände. Machen eine LED-Kerze an, weil offenes Feuer von der Brandschutzordnung verboten ist. Die Pflegekraft macht die Türen auf, damit die Seele auf ihre Reise gehen kann.
Ich schreibe den Totenschein und vollführe den letzten bürokratischen Kraftakt im fünffachen Durchschlag eines gelebten Lebens. Original grün, einmal umschlagen, auf der pinken Seite weiter, ein gelber, ein weißer und ein blauer Durchschlag.Ein letzter Blick auf die Leiche und die beginnenden Totenflecken als Zeichen des sicheren Todes. Der Patient verbleibt mindestens zwei Stunden auf der Intensivstation. Sicher ist sicher.
Dann ziehen wir das Bettlaken über den Kopf. Es sollen keine anderen Patienten oder Mitarbeiter des Hauses verunsichert werden. In der Kühlkammer suchen wir eine freie Box, geben den Schlüssel gemeinsam mit dem Totenschein beim Pförtner ab, von wo aus der Bestatter den Körper abholt und seinen Part erledigt.
Ich würde mir wünschen, dass wir den Tod als etwas Normales begreifen. Etwas, das unvermeidlich irgendwann mit dem Beginn eines Lebens einhergehen wird.
Früher wurde bei Schwangerschaften etwas von „guter Hoffnung“ genuschelt. Geboren und gestillt wurde ganz heimlich. Seit einiger Zeit gibt es sogar Geburtsfotografen, die ganze Reportagen von diesem tollen Ereignis machen.
Wir sollten auch beim Tod umdenken lernen, man kann sehr viel Gutes vom Ende des Lebens lernen.