Warum ist Kinderanästhesie so ein heikles Thema? Es fängt ja schon damit an, dass Kinder und Krankenhäuser einfach nicht zusammenpassen. Kinder sollen herumtoben und nicht betäubt im OP-Saal liegen. Und wieso wird eigentlich behauptet, eine Narkose mache dumm?
Schmerzhafte Erkrankungen und unangenehme Untersuchungen – wie das laut hämmernde MRT – sollten nicht dazu gehören, sind aber manchmal nicht vermeidbar, um die Gesundheit der kleinen Patienten zu erhalten. Und falls eben doch mal ein Arm gebrochen ist oder der Kopf gescannt werden muss, kommen wir ins Spiel – die Anästhesisten. Wir sollen einen Zustand der An-Ästhesie (griechisch ἀναισθησία = Empfindungslosigkeit) herbeiführen.
Als wäre es nicht schon kompliziert genug, bei einem gut genährten Zweijährigen eine Narkose zu machen, so müssen wir nicht nur diese Herausforderung meistern, sondern vorher auch noch Vater und Mutter (und manchmal auch Onkel, Tanten und Großeltern) von Sinn und Notwendigkeit einer Narkose überzeugen.
Eltern sind häufig der Knackpunkt
Überzeugungsarbeit ist manchmal der komplizierteste und vielleicht sogar wichtigste Teil der Prozedur. Wenn die Eltern nicht zu 100 Prozent hinter uns stehen, überträgt sich die Unsicherheit direkt von der Mutter oder dem Vater auf das Kind.
Kinder haben ein ganz feines Gespür dafür, dass etwas nicht stimmt. Es ist also überhaupt nicht förderlich, dass Mama drölfzig Mal mantramäßig ihr „Isallesguuuuuuut-Melody-Chantal“ betet. Spätestens beim dritten Isallesguuuuut-Mantra wird Melody-Chantal gemerkt haben, dass hier gar nichts gut und irgendwas im Busch ist. Und versucht dann mal, noch einen Zugang zum Kind zu bekommen.
Wer sagt, dass Narkose dumm macht?
Man kann Kindern, die aufgeregt, nervös oder vielleicht sogar verängstigt sind, auch trotzdem eine Narkose geben. Die schlafen auch alle ein. Die Angst und Unruhe rächt sich jedoch dann am Ende der Narkose. Meine Erfahrung zeigt, dass die Kinder meistens genau so wach werden, wie sie eingeschlafen sind.
Und wer hat eigentlich behauptet, dass eine Narkose dumm macht?
Ich kenne die Arbeiten von Todorovic et al. und Stratmann et al. und habe nicht nur die Sekundärliteratur dazu gelesen, sondern auch die Fachkommentare in den Onlinepublikationen. Tiermedizinische Versuche können lediglich einen Hinweis auf beim Menschen kritisch zu beobachtende Zusammenhänge geben. Die Vergangenheit hat wiederholt gezeigt, dass selbst eindeutige tierexperimentelle Untersuchungen andere Ergebnisse erbrachten, als der gleiche Sachverhalt beim Menschen – und umgekehrt. Ich bin mir sicher: Wenn Narkosen im Kindesalter wirklich gravierende Konsequenzen hätten, dann wäre das schon bemerkt worden.
Ohne Indikation betäubt kein Anästhesist
Unabhängig von der möglichen Schädigung der Hirnentwicklung sollte ohnehin jeder operative Eingriff im Kindesalter nur bei eindeutiger Indikation durchgeführt werden. Die Kinder, die ich betäubt habe, hatten gar keine andere Wahl. Ich kann mich nicht an ein einziges Kind erinnern, bei dem ich gedacht hätte „Na, das muss man jetzt nicht unbedingt machen“.
Ein gebrochener Arm, ein gebrochener Blinddarm, eine Verbrennung – das sind knallharte Indikationen. Die Diskussionen um das Pro und Contra einer Narkose stellt sich hier für mich nicht.
Tatsächlich kann ich mich nur an eine einzige Operation erinnern, bei der über die Notwendigkeit eine Meinungsdifferenz bestand. Damals ging es um die selektive Beschneidung eines fünfjährigen muslimischen Jungens. Und selbst da würde ich sagen: Wenn schon Vorhaut ab, dann unter Narkose. Das tut nämlich weh. Aber das ist ein anderes Thema.
Fragen stellen ist gut, aus Prinzip kritisieren unnötig
Als Folge dessen ergibt sich, dass selbst eine mögliche – und bisher nicht bewiesene – Hirnschädigung als notwendiges Übel in Kauf genommen werden muss. Wer würde denn freiwillig seinem Kind beibringen wollen, dass die offene Reposition des Knochenbruchs leider ohne Narkose gemacht werden muss und Johannes-Richard jetzt ganz tapfer sein muss, nur weil es möglicherweise einen Hinweis darauf gibt, dass die Gehirnentwicklung des Nachwuchs-Einsteins einen Schaden davon tragen könnte. Eben.
Mit der Kinderanästhesie verhält es sich wie mit vielen Dingen in der Medizin. Statt sich über den Segen moderner Medizin zu freuen, werden immer neue, teils haarsträubende Argumente gegen dies und jenes herangezogen. Abenteuerliche Argumentationen fangen bei Impfungen an, kurven kurz an den Antibiotika vorbei und parken bei der Kindersonnencreme ein.
Ganz klar, Fragen ist richtig, der Mensch soll wachsam bleiben. Vielleicht macht es aber auch einfach mehr Spaß, zu kritisieren, weil man so mehr Gehör findet. Oder würden Sie sich die 192 5-Sterne-Bewertungen durchlesen, obwohl es eine einzige 1-Stern-Kritik gibt?
Von ambulanten Anästhesie-Modellen ist abzuraten
Wenn ich aber doch noch einen Rat geben kann: Ich, und alle Anästhesisten, die ich kenne, würde immer eine Klinik wählen, die explizit mit Kinderanästhesisten arbeitet.
Es gibt viele ambulante Modelle (beispielsweise in Zahnarzt- und HNO-Praxen), die sich entweder Anästhesisten als Honorarärzte tageweise dazu buchen oder mit Anästhesiepraxen zusammenarbeiten. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass diese Anästhesisten oft sehr veraltetes Equipment einsetzen und auch fachlich nicht mehr auf der Höhe sind. Außerdem fehlt das notwendige Notfallequipment und auch das Notfallbackup, falls wirklich mal was schief geht.
In „meinem“ Kindersaal konnte ich in jeder kritischen Situation noch erfahrenere Kollegen dazuholen, außerdem haben wir viel mehr mögliche Eskalationsstufen in Notfallsituationen. Airtraq, Bronchoskop, intraossärer Zugang etc. Das sind teils sehr teure, aber eben im Notfall auch lebensrettende Maßnahmen. Keine Praxis schafft sich mal eben für 10–15.000 Euro eine solche Notfallausrüstung an, die dann nur rumsteht.
Sprechen Sie mit den Experten
Falls das Thema Narkose im Kindesalter wirklich gerade bei Ihnen wichtig ist, lesen Sie nicht im Internet nach, sondern sprechen Sie mit jemandem, der sich auskennt. Und das ist nicht die Nachbarin und nicht die Klassenlehrerin, sondern der Kinder(!)anästhesist.
Wir nehmen uns gerne die Zeit, alle wichtigen Fragen zu beantworten. In Ruhe, im direkten Gespräch. Ein gutes Narkose-Vorgespräch beruhigt, spart Medikamente und sorgt für Entspannung bei allen Beteiligten.