Auf dem Weg zum Samstagseinkauf läuft sie quer über den Parkplatz. Eine alte Dame, die eine klare Vorstellung davon hatte, wie sie am zügigsten von A nach B kommen würde. Und sie wollte auch genau. diesen. Weg. gehen. Wir kennen diesen Typ Rentner. Aber dann ging sie nicht von A nach B, sondern bekam erst ein A-, dann ein B- und dann ein C-Problem – wir kennen diesen Typ Polytrauma.
Ich bin im Moment schwer in der Ausbildung. Ich war einige Zeit im Schockraum eingeteilt, wurde dann der Kinderurologie und Kinderchirurgie zugeteilt, bin dann in die Kardioanästhesie rotiert vorher war ich noch schnell vier Monate bei den Internisten um in Sachen Ultraschall fit gemacht zu werden und jetzt werde ich in die Schmerztherapie wechseln.
Da war zum Beispiel die hochbetagte Dame, die auf dem Parkplatz einer großen Supermarktkette überfahrene wurde. Auf dem Weg zum Samstagseinkauf, läuft sie quer über den Parkplatz. Eine alte Dame, die eine klare Vorstellung davon hatte, wie sie am zügigsten von A nach B kommen würde. Und komme, was wolle, sie würde genau. diesen. Weg. gehen. Wir kennen diesen Typ Rentner.
Und dann war da ein LKW, hatte von seinen geladenen 40 Tonnen gerade vielleicht fünf in Form von Wasserkisten und Frischobst abgeladen und wollte vom Parkplatz nach links abbiegen. Es prallten zwei Welten aufeinander. Eigentlich prallten sie nicht, sondern glitten in Schrittgeschwindigkeit ineinander. Die Dame hing halb im Radkasten und lag halb unter dem LKW. Rettungsdienst, Polizei, großes Aufgebot, viel Geschrei, Blaulicht, Luftkissen, Narkose, technische Rettung, Stabilisierung, Lufttransport, Traumazentrum, Schockraum, CT mit der Diagnose eines massiven und mit dem Leben nicht vereinbaren Schädel-Hirn-Traumas.
Zeit, Abschied zu nehmen
Zwischenzeitlich wurde die gute Dame beatmet, die restlichen Verletzungen hielten sich weitestgehend im Rahmen. Die Kinder der Dame kamen zu uns auf die Intensiv, es folgte ein längeres Gespräch, Besuch am Krankenbett, danach noch ein Gespräch. Es fielen die Worte infaust, ohne Prognose, Hirntod, Maschinen abstellen.
Es war Freitagmittag. Ein Sohn der Patientin sollte noch die Möglichkeit zum Abschied bekommen, er befand sich auf der Rückreise aus Schweden. Es könne Samstagmittag werden. Wie aus der Pistole geschossen kam vom Sohn im Stakkato und ich übertreibe nicht, wie könnte man auch, das kann man sich ja nicht ausdenken: „Aber stellter se nich zwischen 15:30 und 18 Uhr ab! Da spielt der S04 und wir sind im Stadion und wir sind immer im Stadion! Dat hätte unser Omma nich gewollt. Wir kommen dann nachem Spiel und dann machen wir die Oma aus.“
Intubieren – immer ein schwieriges Thema
Und dann war da noch der notärztliche Kollege, der mir am Mittagstisch von einem Einsatz bei einer wohlbeleibten Dame berichtete. Die habe sicher 150 kg gewogen (da hatten wir doch schon wirklich schwerere Kaliber) und dann habe sie keine Luft bekommen, erzählt er weiter. Sie hätten intubieren müssen (ja, wirklich? Warum kein NIV-Versuch?). „Das war aber nicht möglich, da war gar! nix! zu! sehen. Unmöglich.“ Macht mit dramatischem Blick und flacher Hand in der Luft klar, dass auch der routinierteste Atemwegsfinder hier kei-ne-Schang-tze gehabt hätte. Und dann sei sie gestorben. Könne man nichts machen. War einfach zu dick.
Es gibt dieses Emoticon mit den großen Augen, kennt ihr das? So saß ich da.Mit einer Mischung aus Verwunderung, Sprachlosigkeit, Wut, Aggression und Frustration. Alleine sein Gesichtsausdruck wäre ein ganzer Artikel wert, aber ...
Ach, es ist wie es ist. Wir haben das zum Anlass genommen und einen Kurs „Atemwegsmanagement für Notärzte“ ins Leben gerufen. Findet jetzt halbjährlich statt, wird sehr gut besucht. Wir machen nicht irgendwelchen Bonfils-Firlefanz, sondern stellen den Larynxtubus und seine Geschwister vor, immer wieder. Vielleicht hilft es ja was.
Von Katzenfutter und Winterreifen
Und dann war da die Frau eines Patienten, den wir am Herzen operiert haben. Herzklappe raus, drei neue Bypässe. Schon eine wirklich, richtig große OP, mit Herzlungenmaschine und allem Schnickschnack. Wir rufen nach jeder OP die nächsten Angehörigen an und sagen einfach, dass der Patient auf der Intensiv ist, alles gut, schläft noch, ab morgen Besuch, Sie können jederzeit anrufen. Und da sagt mir die Frau „Toll, das ist gut zu hören. Sagen Sie meinem Mann bitte, wenn er wach ist, dass ich den Wagen in die Werkstatt gebracht habe und dass ich die Winterreifen schon drauf hab, dann freut er sich!“ Ja. OK.
Oder der Herr, dem wir eine neue Klappe und vier Bypässe operieren wollten und der mich im Prämedikationsgespräch am Mittwoch doch allen Ernstes fragt, ob er am Freitag wieder zu Hause sei, er habe zwei Katzen und seine Frau sei so schlecht unterwegs, die habe ja auch so schlimm Knie. Mittwoch. Freitag. Herz-OP. Merkste was?
So in etwa geht es. Mal lustig, mal traurig, nie planbar. Relaxierte Grüße, der Narkosedoc