„Mein Kind kriegt keinen Arzt-Termin“ diese Schlagzeile der Bild-Zeitung erhaschte letzte Woche meine Aufmerksamkeit. Besorgt, dass hier Fehlverhalten von Kinderärzten angeprangert werden könnte, kaufte ich das Blatt und forschte nach. Es folgte Erleichterung, dann Ernüchterung.
„BILD prangert einen der schlimmsten Missstände in unserem Land an.“
Ich hätte niemals gedacht, dass ich einmal die Bild-Zeitung zum Thema meines Blogs mache oder sie gar zitiere, aber diese Headline ließ mich aufhorchen: „Mein Kind kriegt keinen Arzttermin“.
Besorgt, dass es sich um böse Kinderärzte handeln könnte, habe ich mir das Pamphlet gekauft und genauer recherchiert. Beruhigung: Es geht um böse Hautärzte. Die liebe Kinderärztin, um die es im Artikel geht, hat ja zum Glück gleich weiter verwiesen.
Der Artikel steigt folgendermaßen ein:
„Ich weiß, Deutschland hat viele Probleme. Ich erzähl Ihnen mal, was meine Familie seit Wochen beschäftigt: Meine Tochter Pauline (5) hat eine Warze am Fuß.“
Da darf man ruhig kurz schmunzeln. Mit welch feinsinninger Ironie die Bild-Redakteurin hier die Sorgen der Menschen mit der eigenen persönlichen Last konterkariert. Respekt.
Eine Warze sei ansteckend, eine Warze sei gefährlich, eine Warze gehört therapiert, um dem Kinde weiteres Leid zu ersparen. Und ebenso feinsinnig wird der Notfall relativiert: „Soll ich die Notaufnahme mit einer Warze blockieren?“
„Nein!“, möchte man der Mutter zurufen, „und auch nicht die ambulanten Praxen!“
Medizin zweiter Klasse
Auf der Suche nach dem rettenden Facharzt mit der eisigen Therapie („am besten mit hochdosiertem Stickstoff“) kann die liebende Mutter schon mal verzweifeln. Drei Hautärzte werden konsultiert, oder eher gar nicht erreicht, der einzig mögliche Termin ist in dreieinhalb Monaten.
Reflexartig wird die Schande des gesetzlich Versichertsein – „krank zweiter Klasse“ – als Ursache ausgemacht, schließlich würde Mama in der privaten Hautarztpraxis, zu der ihr Mann gehe, am gleichen Tag einen Termin bekommen. Unerwähnt bleibt, dass Privatpraxen genau diese Patienten mit Kusshand annehmen, weil sie die teure Stickstoffkryotherapie finanzieren, der kassenärztliche Dermatologe jedoch mit diesen Banalitäten tagtäglich zugeschüttet wird.
Glücklicherweise bietet die Bild-Zeitung dann auch direkt Abhilfe: Nicht die letztens von mir zitierte 116 117, sondern die Terminservicestellen der Kassenärztlichen Vereinigungen können die Rettung bringen: Schließlich muss diese zeitnah einen Facharzt anbieten, auch wenn die Warze dafür eventuell 50 Kilometer fahren muss.
Deutschland hat andere Probleme
Deutschland hat andere Probleme. Fürwahr. Auch das Gesundheitssystem hat andere Probleme. Und Familien in Deutschland mit kleinen Kindern im Gesundheitssystem haben andere Probleme. Es fehlen Kinderärzte, die die Betreuung der Kleinen von Geburt an übernehmen können. Die Ursache hierfür fußt auf der Bedarfsplanung der 90er Jahre und fehlendem Nachwuchs bei anachronistischen Vergabeverfahren der Studienplätze. Es gibt einen Mangel an Psychotherapieplätzen, an geriatrischer Versorgung, in der Pflege, an ambulanten Diensten, an Palliativplätzen, an akutfachärztlicher Versorgung. Und ja, vielleicht fehlen auch Hautärzte.
Aber was ganz sicher nicht fehlt: Die hyperdringende notfällmäßige Versorgung einer selbstlimitierenden banalen Hautinfektion! Schade, Bild-Zeitung, da wurde ein wichtiges Thema mit einer völlig unterbelichteten Story satirisch zerschossen.
Anmerkung: Alle Zitate aus der Bild-Zeitung vom 15.11.2018.
Bilder im Text: Kinderdok, Copyright: Bild-Zeitung
Foto: Peter M., flickr