Obwohl ich Chirurgin bin, habe ich manchmal auch mit hepatologischen Patienten zu tun. Ich arbeite auf einer interdisziplinären Station. Notfall heute: Paracetamolintoxikation. Eine derartige Vergiftung geschieht fast immer mit suizidalem Hintergrund. Wohl aber nicht in diesem Fall.
Es ist dunkel und kalt wenn ich in den großen, grauen Kasten namens Spital stapfe und auch wieder dunkel und kalt, wenn ich nach Hause zu meinen Lieblingen radel. Das sonnige goldene Herbstwetter kenne ich zur Zeit nur aus Erzählungen. Es ist da, das melancholische Herbstwetter.
Bevor ich zur aktuellen Patientengeschichte komme: Ich bin Chirurgin, allerdings arbeite ich auf einer interdisziplinären Abteilung und im Bauch befindet sich unter anderem auch die Leber. Deshalb müssen sich auch die Handwerker manchmal um die hepatologischen Patienten kümmern, wenn es gerade keine internistisch tätige Person auf unserer Station gibt, weil krank oder Personalmangel.
Notfall: Paracetamolintoxikation
Ein Graus für mich, zu viele Laborwerte und hier noch ein Hauch Spironolacton und da noch eine halbe Prise Torasemid und Albumin hier und Aszites da.
Auf jeden Fall gab es einen notfallmäßigen Neueintritt. Eine Paracetamolintoxikation. In den allermeisten Fällen aus suizidalen Gründen eingenommen.
Nun kommt also dieser Patient auf die Bettenstation und ich hoffe, dass es kein enzephalopathisch Leberpatient ist, der mir sein Gewicht nicht nennen kann und sich somit die korrekte Dosierung des Acetylcysteins (was als Antidot verabreicht wird) nicht exakt ausrechnen lässt. Ich konnte aber aufatmen, denn der Patient war kein klassischer Leberpatient, sondern wirkte auf mich recht fit und jung, sodass ich ihn auch gleich fragte, wie viel und wann und warum.
Zwei Stunden, einundzwanzig Tabletten
Er antwortete sehr adäquat, nannte mir den exakten Zeitraum, von 19 bis 21 Uhr, das Medikament, Paracetamol und die Dosis: EINUNDZWANZIG GRAMM. Auf die Frage, warum man bitte um Himmels Willen (ich habe es anders formuliert) einundzwanzig Tabletten innerhalb von zwei Stunden futtere, bekam ich die Erklärung, dass er sich am Tag zuvor beim Sport den Knöchel verstaucht habe.
Ich sah ihn fragend an und wartete auf eine Fortsetzung seiner Antwort, die wie folgt lautete: Aufgrund der Schmerzen nahm er eine Tablette ein, die nicht half. Und dann nahm er noch eine und noch eine und noch eine …
Conor-Oberst-Fans unter euch kennen den Song Lua vielleicht: „We might die from medication, but we sure killed all the pain.“
Bildquelle: Kurtis Garbutt, flickr