Auf Amazon gibt es ein Buch des Impfkritikers Hans Tolzin zu kaufen. Im Netz kommt die Frage auf, ob man gegen die Veröffentlichungen des Molkereifachmanns etwas unternehmen kann. Kann man? Medwatch hat nachgeforscht und Amazon, Behörden und den Autor um eine Stellungnahme gebeten.
Diese Recherche beginnt mit einem Tweet. Ein User stellt auf der Plattform Twitter die Frage, warum es ein Buch des Impfkritikers Hans Tolzin bei Amazon zu kaufen gibt:
Nach kurzer Debatte wird MedWatch angefragt, ob man „da nicht irgendwas machen kann“. Kann man? Sollte man, muss man? Wer ist überhaupt der Autor, dieser Hans Tolzin?
Der Blick ins Web verrät: Tolzin betreibt seit vielen Jahren einen Blog, in dem er impfkritische Berichte online veröffentlicht. Er ist kein Arzt oder Naturwissenschaftler, er ist gelernter Molkereifachmann aus Schwäbisch Hall. Er stellt regelmäßig den Nutzen von Impfungen in Frage, er zweifelt die Therapie von AIDS an und nennt Ebola eine Erfindung der Pharmaindustrie. Er verbreitet, dass Homosexualität „heilbar“ sei und Kinderlähmung wahrscheinlich durch das Pestizid DDT verursacht werde.
Verkäuflicher Unsinn
Tolzins Bücher enthalten ähnliche abstruse Aussagen, wie ich feststelle. Ich frage bei Amazon an. Mich interessiert, wie der Versandhändler generell mit Titeln umgeht, in denen offenkundig unwissenschaftliche und für die Gesundheit womöglich gefährliche Lehren verbreitet werden. Sieht Amazon hier eine besondere Verantwortung, seine Kunden zu schützen?
Der Pressesprecher bittet um Textpassagen des Buches, um besser zu verstehen, um welche Inhalte es geht. Allerdings verweist er direkt auf die Guidelines für Verkäufer: Es müsse schon Verbotenes drinstehen, damit man Produkte eines Kunden aus dem Sortiment streiche. Und ansonsten gelte eben die Meinungsfreiheit. Und Zensur, das wolle man ja auch nicht, oder?
Nein. Das will ich nicht. Aber muss Amazon gesundheitsgefährlichen Unsinn im großen Stil über seine Plattform verkaufen? Eine Frage, auf die es viele Antworten gibt, wie ich lerne.
„Wir kommentieren solche Bücher generell nicht“
Bevor ich Textpassagen an Amazon schicke, bitte ich die Behörden um eine Einschätzung. „Wir kommentieren solche Bücher generell nicht“, erklärt ein Sprecher des Robert Koch Instituts (RKI) , verweist aber auf die Sammlung von Fakten und Informationen zum Impfen, zusammengestellt in Kooperation mit dem Paul Ehrlich Institut (PEI), das in Deutschland für die Sicherheit von Impfstoffen verantwortlich ist.
Das Paul Ehrlich Institut kommentiert auf meine Anfrage einzelne Passagen des Buches. So schreibt Hans Tolzin etwa, dass es …
„… keinen Sinn macht, gegen eine Infektionskrankheit zu impfen, wenn uns diese Krankheit keine Kopfschmerzen bereitet, wie beispielsweise die Windpocken, die selbst von vielen Schulmedizinern als nicht relevant angesehen werden“.
„Es mag Mediziner geben, die eine Impfung gegen Windpocken nicht für zwingend erforderlich halten“, erklärt hierzu Klaus Cichutek, Direktor des PEI. „Die generelle Aussage – ,eine Krankheit, die uns keine Kopfschmerzen bereitet‘ – halte ich für gefährlich. Jede Infektionskrankheit birgt die Gefahr von Komplikationen.“ Bei Viruserkrankungen komme hinzu, dass man sie nicht im bekannten Sinne therapieren könne, sondern nur die Symptome lindern. „Speziell zur Windpockenimpfung darf man auch nicht vergessen, dass Menschen, die die Windpocken als Krankheit durchgemacht haben, potenziell im Alter an Gürtelrose erkranken können“, sagt Cichutek. Die Gürtelrose sei eine schwere, häufig ausgesprochen schmerzhafte Krankheit, die je nachdem, an welcher Körperstelle sie auftritt, sehr schwerwiegende Folgen haben kann. So kann es zu Erblindung kommen, wenn sie am Auge auftritt.
An anderer Stelle schreibt Tolzin ist seinem Buch:
„Ist jedoch die Krankheit durch alternativmedizinische Maßnahmen schnell und gut in den Griff zu bekommen oder ist der Ausbruch durch bestimmte alternative Vorsorgemaßnahmen mit großer Wahrscheinlichkeit verhinderbar, so stellt sich die Frage nach der Notwendigkeit einer Impfung völlig neu.“
„Diese Aussage ist aus medizinischer und wissenschaftlicher Sicht falsch“, sagt Cichutek. „Infektionskrankheiten sind weder durch alternativmedizinische Maßnahmen gut in den Griff zu bekommen, noch sind sie mit ,alternativen Vorsorgemaßnahmen‘ verhinderbar.“
Nach zwei Wochen Prüfung meldet sich auch Amazon zurück. Man werde „die Anfrage leider nicht kommentieren“, schreibt der Pressesprecher – inklusive erneutem Verweis auf die Content Guidelines für Autoren (international) und die Produktbeschränkungen für Verkäufer in Deutschland. Demnach verlangt Amazon von Herstellern und Verkäufern sicherzustellen, dass die Gesetze eingehalten werden. Gleichzeitig räumt Amazon sich aber auch die Möglichkeit ein, die Inhalte selbst zu prüfen.
Auf ein impfkritisches Buch eines gelernten Molkereifachmanns trifft keine dieser Auflagen zu. Doch hat Amazon natürlich durchaus die Möglichkeit, im Einzelfall strengere Maßstäbe anzulegen.
Zurück zur anfänglichen Frage des Twitterers: Es ist also kein „Fehler“, dass auf Amazon auch impfkritische Bücher wie die von Hans Tolzin vertrieben werden, jedenfalls entspricht dies den hauseigenen Guidelines. Ob Amazon dennoch eine größere Verantwortung hätte, auch derartige Machwerke genauer anzuschauen, bevor sie verkauft werden, darüber kann man sicher diskutieren, sagt die Psychologin Cornelia Betsch von der Uni Erfurt. Sie hat sich mit der Wirkung impfkritischer Informationen beschäftigt. „Man könnte jetzt die Diskussion aufmachen, warum Pornografie, anstößige Inhalte und gewaltverherrlichendes Material verboten sind, jedoch offensichtlich falsche und gesundheitsschädliche Information nicht“, sagt sie. Es scheine, als gebe es dringenden Nachholbedarf, auch „Fake News“ genauer zu prüfen, erklärt Betsch.
Brauchen wir ein Qualitätssiegel?
Allerdings stehe dann die Frage der Definition im Raum: Was ist Fake, was nicht? Wer überprüft das? Ein offizielles Siegel für Ratgeber wäre bei einem so wichtigen Thema wie Impfen sicherlich eine gute Sache, findet Betsch. Aufklärung auf einer übergeordneten Sichtweise sei ebenso wichtig: „Wir müssen mehr auf einer Meta-Ebene über derartige Werke reden, um klar zu machen: Welche typischen Techniken und Argumentationstricks werden immer wieder erfolgreich angewandt, um uns an der Nase herumzuführen?“
Ich habe natürlich auch Hans Tolzin um eine Stellungnahme gebeten und ihm die kommentierten Zitate aus seinem Buch geschickt. Wie kam er zu seinen wissenschaftlich unhaltbaren Überzeugungen zum Thema Impfen? Warum schreibt er das alles auch noch auf, in Büchern, in seinem Blog? Und warum verkämpft er sich derart, dass er Journalisten, die über eine impfkritische Veranstaltung in Nürnberg berichten wollten, Schläge androht? (Video hier verlinkt ab Minute 27:00)
Tolzin stellt lediglich Gegenfragen. Antworten bekomme ich nicht.
(Text: Nicola Kuhrt, Foto: Twitter)
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