Es ist wichtig, dass Ärzte auf dem neuesten Stand der Wissenschaft sind. Deshalb sind Fortbildungen Pflicht. Pharmafirmen versuchen die Veranstaltungen für sich zu nutzen. Nun hat eine Ärztekammer eine CME-Zertifizierung für eine Veranstaltung abgelehnt.
Bei Ärztefortbildungen soll es eigentlich darum gehen, Mediziner wissenschaftlich weiterzubilden – doch oft fließt dabei viel Geld: Für Posten wie „Teilnahme an der Industrieausstellung“, „Bereitstellung eines Ausstellungsstandes“ oder für die „Nennung als Sponsor in allen Einladungsunterlagen“ zahlten die Pharmaunternehmen Bayer, Amgen, Lilly, Sevier, Almirall und Boehringer Ingelheim zwischen 10.300 bis 53.000 Euro. Das Geld soll an die Firma Omniamed, nach eigener Beschreibung „ein führender, unabhängiger Anbieter von CME-Fortbildung für die Ärzteschaft“, gegangen sein, wie der Ärzte-Verein „Mein Essen zahle ich selbst“ (MEZIS) berichtet.
Im Juni richtete Omniamed einen eintägigen Ärzte-Fortbildungs-Kongress in der Liederhalle in Stuttgart aus. Mit den Pharmageldern wurden unter anderem die Referenten honoriert: Die teilnehmenden Hausärzte und Internisten konnten nach einem Frühstück in entspanntem Rahmen den Vorträgen anderer Ärzte lauschen. Diese referierten über die Diagnostik von Asthma, Stoffwechselerkrankungen, Depressionen, am Nachmittag wird in einem 30-minütigen Vortrag über ein „kleines dermatologisches ABC“ referiert.
Ärztekammer Baden-Württemberg verwehrt CME-Punkte
MEZIS hat jetzt das Sponsoring von Pharmafirmen bei bundesweiten Ärzte-Fortbildungen untersucht. Als erstes wurden die Aktivitäten von Omniamed genauer betrachtet. Die Ergebnisse nennt MEZIS „erschreckend“: Über 90 Prozent der Ärzte und Experten, die bei gesponserten Veranstaltungen von Omniamed Vorträge gehalten hatten, hatten zuvor Gelder von den sponsernden Pharmafirmen erhalten.
Die Sponsoringsummen für einzelne Omniamed-Tagesveranstaltung mit bis zu 200.000 Euro seien exorbitant hoch. Das sah die Ärztekammer Baden-Württemberg nun offenbar genauso: Sie hat Omniamed für ihren Ärzte-Treff in der Stuttgarter Liederhalle die Zulassung der CME-Punkte verwehrt – dafür hatte das Unternehmen nach der MEZIS-Rechnung Sponsoringgelder in Höhe von insgesamt immerhin 184.151,43 Euro erhalten.
Vorträge: Nichts als Werbung?
Die Aktiven von MEZIS freuen sich über den Schritt der Ärztekammer, bemühen sie sich doch seit Jahren um Fortbildungen ohne Sponsoring. „Die Ärzte werden mit kostenlosen Fortbildungen und einem leckeren Essen geködert. Dabei zeigt unsere Analyse anhand der massiven Interessenkonflikte, dass die Vorträge reine Werbeblöcke der sponsernden Firmen sind”, sagt Niklas Schurig aus dem Vorstand von MEZIS. Dieses Sponsoring führe nachgewiesenermaßen zu schlechteren und zugunsten des Sponsors verzerrten Vorträgen und dürfe von den Landesärztekammern nicht auch noch Fortbildungspunkte belohnt werden.
Es ist ein schwieriges Feld: Ärzte sind per Gesetz und Berufsordnung verpflichtet, sich fortzubilden. Für die Teilnahme an derartigen Seminaren oder Kongressen erhalten sie CME-Punkte. Mit diesen Punkten können die Ärzte belegen, dass sie ihrer Pflicht nachgekommen sind.
Offene Auflagen lassen Handlungsspielraum
Genauso ist festgeschrieben, welche Rolle Pharmakonzerne spielen dürfen. Sponsoring ist zwar erlaubt, wie es etwa im Kodex der Freiwilligen Selbstkrontrolle der Pharmaindustrie (FSA) nachzulesen ist. Auf dem Papier ist es aber untersagt, Einfluss auf die Inhalte zu nehmen. Seminare müssen „frei von wirtschaftlichen Interessen“ sein, heißt es in der Berufsordnung. Dennoch: Viele Auflagen sind allzu offen definiert, etwa, was die Höhe der Sponsoringgelder angeht.
In jedem Bundesland kontrolliert die jeweilige Ärztekammer, wenn Anbieter wie Omniamed Seminare durchführen wollen. MedWatch hat bei allen nachgefragt, nach welchen Kriterien sie prüfen und ob sie ebenfalls einmal eine Veranstaltung von Omniamed beanstandet haben. 14 von 17 Kammern haben auf unsere Anfrage geantwortet – (noch) nicht reagiert haben Bremen, das Saarland und Westfalen-Lippe.
Omniamed ist nicht in allen Bundesländern aktiv
Dabei zeigt sich: Nicht in allen Bundesländern führt Omniamed Kongresse und Seminare durch, keine Seminare gibt es etwa in Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt oder Rheinland-Pfalz. In den Bundesländern, in denen Omniamed aktiv ist, werden die Veranstaltungen in den allermeisten Fällen auch zertifiziert.
„Die Anerkennung von Fortbildungsmaßnahmen erfolgt entsprechend den in der Fortbildungsordnung genannten Anerkennungskriterien. Im Anerkennungsverfahren wird jeder eingehende Antrag geprüft, ein genereller Ausschluss von Anbietern ist nicht vorgesehen“, schreibt uns etwa der Sprecher der Kammer aus Nordrhein. Eine Ablehnung erfolge, wenn die in der Fortbildungsordnung und einer ergänzenden Richtlinie genannten Kriterien nicht erfüllt seien. „Eine gesonderte Auflistung von anerkannten beziehungsweise abgelehnten Veranstaltungen nach Anbieter nehmen wir hierbei nicht vor.“
Ähnlich verhält es sich auch in Niedersachsen. „Die Ärztekammer Niedersachsen prüft für jede Fortbildungsveranstaltung einzelfallbezogen, ob eine Veranstaltung anerkannt wird. Für eine generelle Anerkennung oder Ablehnung einzelner Veranstalter gibt es in der Fortbildungsordnung der ÄKN keine Rechtsgrundlage“, heißt es in Niedersachsen.
Viele Kammern senden nur allgemeine Hinweise, wegen des Datenschutzes könnten keine Details genannt werden.
Nur wenige Kammern weisen Omniamed-Seminare ab
Hamburg und Sachsen geben die Auskunft, dass sie für rund 99 Prozent aller beantragten Fortbildungen tatsächlich Punkte vergeben und diese anerkennen – während in Thüringen laut Ärztekammer rund 20 Prozent aller Anträge nicht zertifiziert werden. Die anderen Kammern gaben keine Auskunft. Alle 14 Ärztekammern erklären, die Seminare für Ärzte mit Verweis auf ihre jeweiligen Richtlinien und die der Bundesärztekammer zu prüfen. Überprüft würden die Inhalte und, ob Produkt- und Firmenneutralität in den Vorträgen eingehalten werden.
Angesichts der Recherche von MEZIS wundert es, dass dennoch von den wenigsten Ärztekammern, bei denen Omniamed Veranstaltungen angemeldet hat, diese beanstandet wurden. Im Gespräch erklären allerdings mehrere Kammer-Vertreter, generell gern strenger handeln zu wollen, aber das bei der Fülle der Seminare meist das Personal dafür fehle. Zudem sei eine Ablehnung rechtlich nicht ganz leicht durchzusetzen. Namentlich wollten die Kammer-Verteter nicht genannt werden.
Einzig aus Hamburg heißt es: „Die Fortbildungsakademie der Ärztekammer Hamburg lehnt bereits seit 2014 immer wieder einzelne Omniamed-Veranstaltungen ab und prüft jeden Antrag intensiv.“ Werbecharakter, kommerzielle Interessen und fehlende Produktneutralität müssten detailliert nachweisbar sein, wenn eine Veranstaltung rechtssicher abgelehnt werden solle, fügt der Pressesprecher hinzu. Ein Problem, das viele Kammern abzuschrecken scheint.
Stuttgart: Wird es bei der Entscheidung bleiben?
Auch im Stuttgarter Fall ist die Ablehnung des Omniamed-Seminars noch nicht abgeschlossen. Ominamed will Einspruch gegen die Entscheidung einlegen. Die Landesärztekammer Baden-Württemberg teilte auf Nachfrage von MedWatch mit, dass generell keine Auskunft zu laufenden Verfahren gegeben werden und verweist auf die eigenen Standards.
Veranstalter Omniamed aus München veröffentlichte zwei Tage nach dem Bekanntwerden der abgelehnten Seminar-Zertifizierung eine Stellungnahme. Man führe jährlich rund 70 Veranstaltungen durch und alle durchliefen eine „strenge hausinterne Qualitätskontrolle“. Durch die zusätzliche Prüfung durch die Ärztekammern würden die Veranstaltungen einer „kritischen Fremdkontrolle“ unterzogen. Hin und wieder könne es dabei zu Beanstandungen kommen, etwa „weil die Ärztekammer der Ansicht ist, dass sich ein industrielles Engagement (Sponsoring) negativ auf die Ausgewogenheit und Neutralität der Inhalte der Veranstaltung auswirken könnte.“
Für den Fall in Stuttgart „sah die Landes-Ärztekammer aufgrund des industriellen Sponsorings Anlass zu einer Beanstandung“.
MEZIS hat sich derweil den Beirat angesehen, der durch Omniamed eingesetzt wurde, um die Unabhängigkeit der eigenen Seminare zu begutachten: Sechs der sieben Beiratsmitglieder unterhielten enge Beziehungen zur pharmazeutischen Industrie, berichtet MEZIS. Der siebte Experte sei über 90 Jahre alt.
Text: Nicola Kuhrt
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