Kinder trauern anders als Erwachsene und kleine Kinder trauern anders als große. Die unterschiedlichen Wege mit einem Todesfall umzugehen, können ganze Familien auseinanderreißen. Im Podcast sprechen wir heute mit Beate Alefeld-Gerges über die Trauerarbeit mit Kindern und Jugendlichen.
Familien haben nach dem Verlust eines geliebten Menschen häufig den Anspruch, gemeinsam zu trauern. Oft ist aber genau das nicht möglich. Kinder trauern ganz anders als Erwachsene. Warum es so wichtig ist, junge Menschen als Experten für ihre eigene Trauer zu sehen, hat Beate Alefeld-Gerges in einem Interview im PsychCast erklärt. Sie ist die Gründerin und pädagogische Leiterin von Trauerland in Bremen.
Felix (Name geändert) ist fünf Jahre alt und vor vier Monaten ist sein Vater gestorben. Alle zwei Wochen besucht er eine von neun Trauer-Kindergruppen im Trauerland – Zentrum für trauernde Kinder und Jugendliche e. V. in Bremen. Heute wirft er sich lachend auf die Matten im Toberaum, bis er richtig aus der Puste ist.
Später kommt er mit einem der geschulten Trauerbegleiter ins Gespräch und beschreibt, dass es gerade gar nicht so schlimm sei, dass Papa nicht mehr wiederkommt. Er freue sich auf sein erstes Fußballturnier am nächsten Tag, nur das sei gerade wichtig. Keiner fragt nach, keiner bewertet, keiner interpretiert, was Felix in der geschützten Gruppe sagt.
Trauergruppe als elternfreie Zone
Seine Mutter ist der derweil nebenan, in der Angehörigengruppe. Sie wird nicht erfahren, was Felix in diesen anderthalb Stunden getan oder gesagt hat. Er könnte jederzeit zu ihr hinüber gehen, doch sie kann Felix nicht besuchen. „Das gehört bei uns zum Konzept, weil wir immer wieder merken, dass die Kinder auch mal Sachen sagen oder machen, die die Eltern vielleicht gar nicht gut finden – und einiges auch unterdrücken würden, wenn hier keine klare Grenze bestünde“, erklärt Alefeld-Gerges.
Das klingt streng, wenn man sich aber klar macht, wie Kinder trauern und dass Erwachsene die kindliche Weise zu trauern oft nicht greifen können, wird der Ansatz verständlich: „Kinder springen typischerweise in ihre Trauer hinein und heraus, das verstehen Erwachsene oft nicht“, erklärt die auf Kinder und Jugendliche spezialisierte Diplom-Sozialpädagogin. Dieses Hin und Her werde auch „Trauer-Pfützenspringen“ genannt. Das kann man sich wie einen Weg nach einem ordentlichen Regenguss vorstellen, auf dem ab und an eine Pfütze ist, dazwischen aber trockener Weg. Die Kinder erfreuen sich also zum Beispiel am Fußballspiel oder lassen Wut beim Toben heraus oder sind albern, ganz plötzlich springen sie aber mit Karacho in die nächste Pfütze und sind tieftraurig. Dieses Wechselspiel ist gesund und normal und entspricht dem natürlichen kindlichen Umgang mit solch starken Gefühlen.
Immer wieder fragen muss erlaubt sein
Problematisch für viele der erwachsenen Angehörigen sei auch, dass Kleinkinder oft immer wieder die gleichen Fragen stellen, etwa „Wann kommt Papa wieder?“
Manchmal werde dann geantwortet, „Ich habe dir doch schon ganz oft gesagt, dass Papa nicht wieder kommt“, diese Aussage gehe an der Erlebniswelt der Kinder aber vorbei. Die Dimension, dass jemand nie mehr und endgültig nicht wiederkommt, ist für sie nicht vorstellbar. So ist es Teil der Trauerarbeit – vor allem für Kinder unter sieben Jahren – diese Fragen immer wieder stellen zu dürfen und auch immer wieder eine Antwort zu bekommen.
„Für uns ist der Ansatz, dass Kinder ihre Trauer oft nicht mit Worten ausdrücken, sondern im Tun“, beschreibt Alefeld-Gerges, die das Trauerzentrum mittlerweile an mehreren Standorten in Nordeutschland aufgebaut hat und für ihre Arbeit mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet wurde.
Kinder als Experten ihrer Trauer
So ist in den Gruppenräumen ein Toberaum mit Boxsack vorhanden, Platz zum Höhlenbauen, Malutensilien, Kickern. Aber es gibt auch einen Ruheraum, da Trauer für Kinder und Jugendliche auch sehr anstrengend sei. Kinder ab zwei werden bereits in das Gruppenangebot aufgenommen, dann steht meist das Bedürfnis nach körperlicher Nähe im Vordergrund. „Ein zweijähriges Mädchen an das ich mich erinnere, wollte die ganze Zeit herumgetragen werden, weil sie ihre Mutter so vermisst hat“, erzählt die Trauerland-Gründerin.
Alefeld-Gerges berichtet auch, dass die Frage, ob das Kind mit zur Beerdigung soll, häufig im Zusammenhang mit der Trauerarbeit auftauche. Ihre Antwort fällt hier deutlich aus: „Fragt doch die Kinder und macht sie mithilfe eurer Informationen und Erklärungen zu Experten für ihre eigene Trauer“. Bei Beerdigungen sei es eine gute Variante, einen Erwachsenen dabei zu haben, der selber nicht so stark in die Trauer involviert sei, sodass das Kind zwischendurch raus kann, wenn es möchte und auch die ganze Zeit weiß, dass das geht. Ein Kind zuhause zu lassen, das eigentlich mit möchte, sei eine Form der Ausgrenzung, gibt Alefeld-Gerges zu bedenken.
Kinder und Erwachsene trauern unterschiedlich
Häufig werden Kinder in die professionelle Trauergruppe aufgenommen, weil es zu psychosomatischen Beschwerden und phaseweise zu einer „Zurückentwicklung“ kommt. Das beunruhige die Eltern zwar besonders, ist laut Alefeld-Gerges jedoch völlig normal.
Die Arbeit von Trauerland funktioniert in Verbindung mit Kinderärzten, Beziehungsberatungsstellen und Schulen und ist für die von Trauer betroffenen Familien kostenlos. Man kann als Betroffener auch kommen, wenn man noch keine Beschwerden hat, die Arbeit von Trauerland ist prinzipiell ein präventives Angebot, dass sich jedoch bisher nicht über die Krankenkassen, sondern über Spenden finanziert. Seit der ACE-Studie über schädigende Kindheitsereignisse und deren große Bedeutung für die spätere körperliche und seelische Erkrankungsbereitschaft wissen wir, wir wichtig und effektiv Prävention sein kann.
Bei trauernden Kindern ist es wichtig, der – im Vergleich zu Erwachsenen – komplett anderen Art und Weise mit Trauer umzugehen, mehr Raum zu geben. Der Anspruch, dass Kinder und Erwachsene zusammen und auf die gleiche Weise trauern müssten, führt hier nicht weiter. „Durch dieses Gezerre aneinander nach einem Trauerfall, brechen viele Familien auseinander“, so Alefeld-Gerges.
Für ausführlichere Infos über Trauer bei Kindern und Jugendlichen hören Sie das gesamte Interview im PsychCast und besuchen Sie die Homepage von Trauerland.