Das IQWiG hat in zwei Nutzenbewertungen untersucht, ob der Wirkstoff Ramucirumab bei Patienten mit metastasiertem Kolorektalkarzinom (mKRK) oder nicht kleinzelligem Lungenkarzinom (NSCLC) einen Zusatznutzen bietet. Alter und Geschlecht spielen dabei eine maßgebliche Rolle.
Ramucirumab (Handelsname Cyramza) ist ein monoklonaler Antikörper, der durch die Blockade eines Rezeptors die Neubildung von Blutgefäßen und damit auch die Blutversorgung von Tumoren verringert. Das soll das Wachstum der Tumoren hemmen. Das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) hat in zwei frühen Nutzenbewertungen untersucht, ob der Wirkstoff erwachsenen Patienten mit metastasiertem Kolorektalkarzinom (mKRK) oder aber mit lokal fortgeschrittenem oder metastasiertem nicht kleinzelligem Lungenkarzinom (NSCLC) einen Zusatznutzen gegenüber den zweckmäßigen Vergleichstherapien bietet. Demnach gibt es laut IQWiG bei mKRK für Frauen einen Hinweis auf einen „geringen Zusatznutzen“ und für Männer einen Anhaltspunkt für einen „geringeren Nutzen“ von Ramucirumab. Ähnlich zweigeteilt ist das Ergebnis bei NSCLC: Für unter 65-Jährige gibt es einen Beleg für einen „geringen Zusatznutzen“, für ältere Betroffene aber einen Beleg für einen „geringeren Nutzen“ als mit der Vergleichstherapie.
Als zweckmäßige Vergleichstherapie hat der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) ein Chemotherapie-Schema namens FOLFIRI festgelegt. Die Nutzenbewertung beruht auf der randomisierten kontrollierten Studie RAISE, an der Erwachsene mit mKRK teilnahmen, die im Ramucirumab-Arm zusätzlich und im Vergleichsarm ausschließlich mit FOLFIRI behandelt wurden. Das Gesamtüberleben war im Ramucirumab-Arm der Studie länger als im Vergleichsarm. Allerdings lebten nur Frauen statistisch signifikant länger. Diesem Hinweis auf einen beträchtlichen Zusatznutzen standen bei den Frauen Anhaltspunkte für negative Effekte unterschiedlichen Ausmaßes gegenüber, darunter für einen erheblich höheren Schaden in der Endpunktkategorie schwerwiegende/schwere Nebenwirkungen. Diese stellen den Vorteil beim Gesamtüberleben nicht vollständig infrage, sodass für weibliche Patienten ein Hinweis auf einen geringen Zusatznutzen von Ramucirumab gegenüber der Vergleichstherapie verbleibt. Bei männlichen Patienten gab es dagegen, laut IQWiG, keinen Überlebensvorteil. Es traten ausschließlich negative Effekte auf, und zwar bei der Symptomatik, der Lebensqualität und den Nebenwirkungen. Daraus ergibt sich ein Anhaltspunkt, dass Ramucirumab ihnen einen geringeren Nutzen bringt als die Vergleichstherapie.
Als zweckmäßige Vergleichstherapie hat der G-BA verschiedene Therapieoptionen benannt, aus denen der Hersteller das Chemotherapeutikum Docetaxel ausgewählt hat. In den beiden randomisierten kontrollierten Studien REVEL und JVCG, die der Nutzenbewertung für NSCLC zugrunde lagen, wurden die Patienten im Prüfarm mit Ramucirumab in Kombination mit Docetaxel und im Vergleichsarm mit Docetaxel allein behandelt. Auch hier überlebten die Teilnehmer in den Prüfarmen länger als in den Kontrollarmen. Allerdings profitierten von diesem Vorteil nur Patienten, die jünger als 65 Jahre waren. Neben diesem beträchtlichen Zusatznutzen beim Gesamtüberleben ergab sich für sie auch ein Anhaltspunkt für einen beträchtlich geringeren Schaden in der Endpunktkategorie schwerwiegende/schwere Nebenwirkungen. In derselben Kategorie traten auch negative Effekte auf, die aber die Vorteile nicht gänzlich infrage stellen. Somit gibt es für unter 65-Jährige einen Beleg für einen geringen Zusatznutzen von Ramucirumab und Docetaxel gegenüber Docetaxel allein. Ältere Patienten hatten dagegen keinen Überlebensvorteil, und es traten ausschließlich negative Effekte (vermehrte Nebenwirkungen) auf, sodass für sie ein geringerer Nutzen von Ramucirumab plus Docetaxel im Vergleich zu Docetaxel allein belegt ist.
Dieses „doppelt zweigeteilte“ Ergebnis nimmt Anna-Sabine Ernst, Leiterin des Ressorts Kommunikation im IQWiG, zum Anlass für einen Hinweis: „Geringer Zusatznutzen und geringerer Nutzen - das klingt verführerisch ähnlich. In der Vergangenheit ist es auch in der Fachpresse gelegentlich zu Verwechslungen gekommen. Wir würden den Unterschied gerne deutlicher markieren, sind aber an den Wortlaut der Arzneimittel-Nutzenbewertungsverordnung gebunden.“ In dieser wird ein Zusatznutzen, also ein gegenüber der Vergleichstherapie größerer Nutzen des neuen Wirkstoffs, in absteigendem Ausmaß als erheblich, beträchtlich und eben gering bezeichnet. Schneidet der neue Wirkstoff dagegen schlechter ab als die Vergleichstherapie, ist von einem „geringeren Nutzen“ die Rede. „Die beiden Ausdrücke stehen gewissermaßen auf unterschiedlichen Ufern“, so Ernst. „Getrennt sind sie durch einen Graben namens ‚kein Anhaltspunkt für einen Zusatznutzen' oder auch - gleichbedeutend - ‚kein Zusatznutzen belegt'.“