Eine Schlaganfall-Patientin kann nach der Injektion von Stammzellen direkt ins Gehirn wieder gehen. Andere Patienten können besser sprechen oder ihre Hände bewegen. Es scheint, als hätten wir die Regenerationsfähigkeit des Gehirns völlig unterschätzt.
In der auf zwei Jahre ausgelegten Studie untersucht die Gruppe um Gary Steinberg, Professor für Neurochirurgie an der Stanford University in Kalifornien, an 18 Probanden die Sicherheit, Machbarkeit und Wirksamkeit der Injektion gentechnisch veränderter Stammzellen. Bei allen Studienteilnehmern handelt es sich um Personen, die sechs Monate bis drei Jahre zuvor einen Schlaganfall erlitten hatten und deren Rehabilitation auf einem Plateau zum Erliegen gekommen war. Die Ergebnisse der nach 12 Monaten durchgeführten Interimsanalyse sind jüngst in der Fachzeitschrift Stroke [Paywall] publiziert worden. Durch die Stammzell-Behandlung ließen sich beachtliche Erfolge erzielen, berichtet Steinberg: „Eine 71-jährige Frau, die zum Beginn der Studie nur ihren linken Daumen bewegen konnte, kann jetzt gehen und ihren Arm über ihren Kopf heben.“ Auch bei allen anderen Probanden waren deutliche Fortschritte zu beobachten. Der Fugl-Meyer-Score zur Bestimmung der motorischen Funktion verbesserte sich beispielsweise durchschnittlich um 11,4 Punkte – eine Zunahme von mehr als 10 Punkten gilt als klinisch relevant. „Die deutlichsten Verbesserungen betrafen Stärke, Koordination, Gehfähigkeit, die Fähigkeit die Hände zu benutzen und das Kommunikationsvermögen“, erklärt Steinberg. Gary Steinberg, Professor für Neurochirurgie an der Stanford University und Leiter der Stammzellstudie (© Stanford Medicine)
Für die offene, einarmige Phase-1/2A-Studie verwendeten die Forscher mesenchymale Stammzellen aus dem Knochenmark zweier gesunder Spender. Diese allogenen Zellen wurden gentechnisch so modifiziert, dass sie vorübergehend einen Teil des Notch-Rezeptors exprimieren. Der Notch-Signalweg spielt insbesondere während der Embryonalentwicklung eine wichtige Rolle, aber auch im adulten Organismus wird dadurch beispielsweise die Zelldifferenzierung reguliert. Jedem Patienten wurden anschließend 2,5x106, 5,0x106 oder 10x106 Zellen stereotaktisch in die Peri-Infarktregion implantiert. Was genau die Zellen dort tun, wissen die Wissenschaftler zwar noch nicht im Detail, aber es ist offenbar nicht das, was lange Zeit erwartet wurde. „Die ursprüngliche Annahme war, dass die Stammzellen sich in Neurone verwandeln und die Schaltkreise wiederherstellen“, so Steinberg. „Aber das ist definitiv nicht das, was passiert ist, insbesondere nicht bei diesen Zellen, denn es handelt sich um Zellen, die aus dem Knochenmark gewonnen wurden, und diese können sich nicht in Neurone verwandeln. Stattdessen schütten sie sehr effektive Wachstumsfaktoren und Angiogenesefaktoren sowie andere Moleküle und Proteine aus, welche die Plastizität fördern. Vereinfacht gesagt verwandeln sie das adulte Gehirn in das Gehirn eines Neugeborenen, welches sich sehr gut von einem Schlaganfall erholen kann.“
Eine Besonderheit ist, dass die Stammzellen selbst anscheinend eher kurzlebig sind: In Tiermodellen waren die transplantierten Zellen nur einen Monat lang im Gehirn nachweisbar. Die Veränderungen, die sie in dieser Zeit anregen, scheinen dagegen von dauerhafter Natur zu sein, denn die klinischen Effekte der Behandlung waren auch noch zwei Jahre nach der Implantation (der maximalen Beobachtungsdauer der Studie) zu sehen. „Dies verändert unsere gesamte Vorstellung davon, was nach einem Schlaganfall passiert und was nach jeglicher Verletzung des Gehirns und des Rückenmarks passiert“, sagt Steinberg. „Früher dachten wir, dass die Schaltkreise nach einem Schlaganfall tot oder irreparabel geschädigt sind. Jetzt müssen wir diese Annahme überdenken. Ich persönlich bin der Meinung, dass die Schaltkreise inhibiert sind, und dass unsere Behandlung dazu beiträgt, die Inhibition aufzuheben.“ Ganz ohne Manko kommt aber auch diese Therapie nicht daher. Bei allen Teilnehmern kam es während der Studie zu unerwünschten Ereignissen, die aber anscheinend nicht auf die Stammzellen zurückzuführen waren. Drei von vier Teilnehmern litten beispielsweise unter Kopfschmerzen, welche im Zusammenhang mit dem chirurgischen Eingriff auftraten. Immerhin kam es aber nicht zu schweren Nebenwirkungen, welche die Behandlung untragbar machen würden. Trotzdem sind weitergehende Studien mit größeren Teilnehmerzahlen notwendig, um die Sicherheit und Wirksamkeit der Therapie zu bestätigen. Steinberg erklärte, eine weiterführende Phase-2b-Studie mit 156 Patienten sei bereits initiiert – ein Drittel der Teilnehmer werde dabei als Kontrolle eine Scheinbehandlung erhalten. Sollten die Ergebnisse vielversprechend sein, werde es eine Phase-3-Studie geben.
Die Steinberg-Studie wurde von SanBio finanziert, einem US-amerikanischen Unternehmen mit Sitz in Kalifornien, das sich auf zellbasierte Produkte zur Behandlung von neurologischen Erkrankungen spezialisiert hat. Das Unternehmen ist jedoch nicht das erste, das von positiven Studienergebnisse mit injizierten Stammzellen berichten kann: Bereits im letzten Jahr ließ das britische Unternehmen ReNeuron verlauten, eine Phase-1-Studie an 11 Schlaganfall-Patienten erfolgreich abgeschlossen zu haben. Die Ergebnisse dieser sogenannten PISCES-Studie sind jedoch bisher nur auf Konferenzen vorgestellt worden, eine ordentliche Publikation steht noch aus. Das hat das Unternehmen jedoch nicht davon abgehalten, bereits eine Phase-2-Studie mit 21 Patienten zu starten. Andere Unternehmen scheuen dagegen die intrakranielle Injektion und versuchen es lieber mit einer intravenösen Applikation. Etwa 30 entsprechende Studien laufen derzeit, doch Steinberg zufolge habe keine so bemerkenswerte Ergebnisse erzielt wie die zwei Studien, in denen die Stammzellen direkt in das Gehirn implantiert wurden. Trotzdem gelte es noch zahlreiche Hindernisse zu überwinden, sagt Steinberg: „Wir haben noch viel zu lernen, unter anderem welche Zelle die richtige für den Job ist, und welches die richtige Dosis und der richtige Übertragungsweg sind.“ Trotzdem ist er der Meinung, dass diese Therapieform ein echter Lichtblick für Schlaganfall-Patienten ist – eine Ansicht, die auch Shamim Quadir von der britischen Stroke Association teilt: „Die Studienergebnisse sind Teil einer zunehmend breiteren Datenlage, die nahelegt, dass Stammzelltherapien selbst Monate oder Jahre nach einem Schlaganfall die Rehabilitation fördern könnten, was vielen Menschen Hoffnung gibt, die derzeit mit einer Behinderung leben.“