Glioblastome werden in Deutschland jedes Jahr etwa 3.400 Mal diagnostiziert. Sie sind wegen ihrer Therapieresistenz und breiten Streuung nur schwer zu bekämpfen. Professor Dr. Wolfgang Wick gibt im Interview Auskunft über neue therapeutische Ansätze.
Professor Dr. Wolfgang Wick © Universitätsklinikum Heidelberg Wolfgang Wick (46) ist Professor für Neurologie und ärztlicher Direktor der Abteilung für Neuroonkologie am Universitätsklinikum Heidelberg Deutsches Krebsforschungszentrum (DKFZ): Herr Professor Wick, viele Menschen empfinden Hirntumoren als besonders unheimlich. Woran liegt das?Professor Dr. Wolfgang Wick: Das Gehirn gilt als Sitz der Seele, es macht unsere Persönlichkeit aus. Patienten, bei denen ein Hirntumor diagnostiziert wurde, haben Angst vor Persönlichkeitsveränderungen. Oder sie befürchten, als veränderte Persönlichkeit wahrgenommen zu werden. Zu solchen Veränderungen kommt es tatsächlich aber nur in ganz seltenen Fällen. DKFZ: Es gibt zahlreiche Arten von Hirntumoren. Wie unterscheiden sich die Erkrankungen? Wick: Zunächst einmal: Über die Hälfte aller Tumoren im Gehirn sind gar keine Hirntumoren im eigentlichen Sinne, sondern Absiedlungen von Krebserkrankungen im Körper. Sie werden völlig anders behandelt als die „echten“ Hirntumoren. Bei den eigentlichen Hirntumoren handelt es sich wiederum in der Hälfte der Fälle um meist gutartige Tumoren der Hirnhäute, die Meningeome, die meist durch eine Operation geheilt werden können. Die andere Hälfte sind die problematischen Fälle: die diffus wachsenden Gliome, in der Mehrzahl die besonders aggressiven Glioblastome. DKFZ: Was macht Glioblastome so gefährlich? Wick: Glioblastome haben viele Eigenschaften, die es uns wirklich schwermachen, sie erfolgreich zu bekämpfen. Zunächst einmal wachsen sie sehr diffus in das Gehirn ein, so dass es unmöglich ist, sie bei einer Operation vollständig zu entfernen oder präzise zu bestrahlen. Unsere eigenen aktuellen Ergebnisse zeigen sogar, dass die Krebszellen untereinander eine das gesamte Gehirn durchziehende Netzstruktur ausbilden. Wir gehen daher davon aus, dass ein Glioblastom auf mikroskopischer Ebene das gesamte Zentralnervensystem infiltriert. Der Tumor, den wir im Röntgenbild sehen, ist nur die Spitze des Eisbergs! Dazu kommt: Die Glioblastomzellen sind extrem resistent gegen alle Therapien und sie sind molekular sehr vielgestaltig. Darüber hinaus beuten sie sehr geschickt das umgebende gesunde Gewebe für ihr Wachstum aus. DKFZ: Das klingt, als könnte man bislang wenig gegen die Krankheit ausrichten? Wick: Operation des sichtbaren Tumors – ohne dabei Schäden anzurichten, Bestrahlung und das Medikament Temozolomid sind heute die Standardbehandlung. Trotz dieser Therapien überleben leider bislang im Schnitt deutlich weniger als zehn Prozent der Glioblastompatienten die ersten fünf Jahre nach der Diagnose. Aber das ist ein Mittelwert. Durch die großen Fortschritte in der molekularen Tumordiagnostik können wir heute viele Patienten molekular definierten Subgruppen zuordnen, die viel besser zu behandeln sind. In diesen Fällen kennen wir die veränderten Zellstrukturen, die das Tumorwachstum antreiben. Die können wir teilweise jetzt schon, aber vor allem zukünftig, mit neuen, zielgerichteten Medikamenten präzise angreifen, die oftmals deutlich besser wirken als die Standardtherapie. Diese Patienten haben oft eine viel günstigere Prognose und leben teilweise viele Jahre beschwerdefrei. DKFZ: Welchen Patienten können Sie eine molekulare Tumoranalyse anbieten? Wick: Wir bieten für Glioblastompatienten bereits bei der Erstdiagnose eine umfassende molekulare Untersuchung. Durch den breiteren Einsatz der molekularen Diagnostik und auch durch die enormen Fortschritte der bildgebenden Verfahren erwarten wir, in Zukunft deutlich mehr Tumoren präziser einordnen zu können. Dann könnten wir mehr Patienten besser helfen. Damit werden wir nicht das Glioblastom insgesamt besiegen, aber einzelne Patienten werden davon profitieren. DKFZ: In Heidelberg wird sehr viel an Hirntumoren geforscht. Gibt es Aussicht auf neuartige Behandlungen? Wick: Wir erproben derzeit, vor allem im Labor, eine Kombination der Protonen-Präzisionsstrahlentherapie mit zielgerichteten Medikamenten und erwarten, dass Glioblastome darauf besser ansprechen als auf die konventionelle Bestrahlung. Auch die derzeit vieldiskutierten Methoden, das Immunsystem gegen den Tumor zu aktivieren, halte ich für aussichtsreich. Darüber hinaus gab es in den letzten Jahren einige erfreuliche und vielversprechende Entwicklungen von ganz neuen therapeutischen Ansätzen. Weit fortgeschritten ist etwa der Wirkstoff APG101, der Wachstumssignale an die Glioblastomzellen unterdrückt. In einer Phase II-Studie konnten wir zeigen, dass APG101 in Kombination mit der Strahlentherapie das Gesamtüberleben einer bestimmten Gruppe von Glioblastompatienten signifikant steigern konnte. Bei einer weiteren Methode werden Glioblastome mit Parvorviren bekämpft. Diese Virustherapie hat sich in einer ersten klinischen Prüfung als sicher erwiesen und soll nun weiter erforscht werden. Außerdem konzentrieren wir uns derzeit auf das Enzym IDH1, das bei einigen wenigen Glioblastomen sowie vor allem bei der Mehrzahl der niedriggradigen Gliome charakteristisch und tumorspezifisch verändert ist: Heidelberger Kollegen ist es kürzlich gelungen, einen mutationsspezifischen Impfstoff zu entwickeln, der eine Immunreaktion gegen Tumorzellen hervorruft, die dieses veränderte Protein tragen. Wir prüfen nun in einer klinischen Phase I-Studie, ob dieser Impfstoff verhindern kann, dass Gliome nach der Behandlung wieder auftreten. Auch schon das erwähnte bösartige Netzwerk der Glioblastomzellen, das wir kürzlich entdeckt haben, gibt uns Hinweise auf einige neue Angriffspunkte für Medikamente, die wir vorher noch nicht kannten. Aber das ist derzeit noch Zukunftsmusik. DKFZ: Lässt sich das persönliche Risiko, an einem Hirntumor zu erkranken, verringern? Wick: Da ist leider nichts bekannt. Die Daten zum Zusammenhang von Handystrahlen und Hirntumoren sind allerdings immer noch zu vorläufig, um dieses Risiko abschließend zu beurteilen. Auf der anderen Seite bedeutet das aber, dass wir unseren Patienten sagen können: Machen Sie sich keine Vorwürfe, Sie haben nichts falsch gemacht! Ein Hirntumor ist eben Schicksal. Pressemitteilung: