Patienten mit lebensbedrohlichen Erkrankungen haben keine Zeit, auf die Zulassung innovativer Wirkstoffe zu warten. Ärzte und Vermittler versuchen deshalb, Studien oder Härtefallprogramme zu finden. Sie bewegen sich auf einem schmalen Grat zwischen Hilfe und Industrienähe.
Die zehnjährige Hannah Vogel, ein Mädchen aus dem bayerischen Greiling, leidet an neuronaler Ceroid-Lipofuszinose (NCL) vom Typ 2. Ihr Körper transportiert Ceroid-Lipofuszine nicht mehr ab, und Nervenzellen gehen langsam zu Grunde. Etablierte Pharmakotherapien gibt es nicht, die Erkrankung führt zum Tode. BioMarin, ein forschender Hersteller aus dem kalifornischen San Rafael, entwickelt zwar Cerliponase Alfa (BMN 190) als rekombinante Version der fehlenden Tripeptidylpeptidase 1 (TPP1). Er weigert sich aber bislang, Hannah mit dem Präparat zu versorgen. Dabei hätte BioMarin nach deutschem Recht mehrere Möglichkeiten.
Der einfachste Weg wäre, Hannah in eine klinische Studie aufzunehmen. Bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen kennt das deutsche Recht darüber hinaus mehrere Sonderwege. „Im Rahmen eines Härtefallprogramms können Arzneimittel ohne Genehmigung oder ohne Zulassung einer bestimmten Patientengruppe zur Verfügung gestellt werden, wenn ausreichende Hinweise auf die Wirksamkeit und Sicherheit des Arzneimittels vorliegen und für dieses eine klinische Prüfung durchgeführt wird oder ein Zulassungsantrag bei der Europäischen Arzneimittel-Agentur, der zuständigen Bundesoberbehörde oder einer für die Zulassung zuständigen Behörde eines Mitgliedstaates gestellt worden ist“, heißt es in der Arzneimittel-Härtefall-Verordnung. Existieren weder Härtefallprogramme noch klinische Studien, können Ärzte einen individuellen Heilversuch unternehmen. Hier greift der Paragraph 34 Strafgesetzbuch („rechtfertigender Notstand“). Bleibt als Schwierigkeit für Ärzte, geeignete Studien oder Härtefallprogramme zu finden. Doch Hilfe naht: Plattformen wie TrialReach, My tomorrows und LoveSteve spielen ihre Stärken aus. Ein Überblick.
Das Portal TrialReach geht auf gemeinsame Initiativen von Novartis, Pfizer und Eli Lilly zurück. Im Mittelpunkt steht eine seit Jahren bekannte Fragestellung: Wie finden Patienten passende Studien – und wie gelangen Forscher an die richtigen Patienten? „Hunderte Milliarden Dollar werden pro Jahr für klinische Studien ausgegeben, und die meisten werden nicht rechtzeitig beendet, weil die richtigen Teilnehmer fehlen“, sagt Pablo Gravier, CEO von TrialReach. Als Grund sieht er komplex formulierte, unstrukturierte Einschluss- oder Ausschlusskriterien. Sein Team arbeitet mit Tools aus der Computerlinguistik (Natural Language Processing), um Informationen zu verarbeiten und leicht durchsuchbar zu machen. „Unsere Plattform verbindet Patienten mit Forschern und Herstellern“, erklärt Gravier. Keith Lovell, auch bei TrialReach tätig, brachte seine Expertise aus einem ganz anderen Bereichen mit. Er war lange Zeit für Shazam tätig: eine App, mit der Konsumenten Titel gerade laufender Musikstücke erkennen. Auch hier ging es um komplexe Datenquellen und um deren Analyse. Soviel zur Theorie. In der Praxis können Patienten bei TrialReach momentan nur klinische Studien über Diabetes mit der erweiterten, innovativen Funktionalität durchsuchen. Die Erkrankung gilt aufgrund hoher Patientenzahlen als besonders lukrativ. Ansonsten bleibt die Basisversion. Alle drei Portale zeigen deutlich, dass mündige Patienten – mit Unterstützung durch ihre Ärzte – heute deutlich bessere Chancen haben.