Eine junge Frau wird von ihrem Mann in eine psychiatrische Ambulanz gebracht. Er berichtet von starkem Redebedürfnis, Größenwahn und Wutausbrüchen. Eine psychische Störung liegt scheinbar auf der Hand – trotzdem befindet sich die Patientin in der falschen Fachabteilung.
Eine 25-Jährige wird von ihrem Mann in die psychiatrische Ambulanz gebracht. Der Mann berichtet, seine Frau habe in letzter Zeit ein zunehmend starkes Redebedürfnis, Wutausbrüche und Gereiztheit, Schlaf- und Appetitlosigkeit. Darüber hinaus vernachlässige sie sowohl ihr Kind als auch die eigene Körperpflege.
Die Anamnese ergibt, dass die Patientin drei Monate zuvor einen gesunden Jungen zur Welt gebracht hat. Einen Monat später habe sie unter rekurrierendem Fieber gelitten, woraufhin eine Miliartuberkulose diagnostiziert worden war. Eine Therapie mit Tuberkulostatika wurde unmittelbar begonnen. Wenige Wochen später seien dem Mann erstmals Zeichen der Wesensveränderung aufgefallen. In ihrem Wahn setzte die Patientin kurz darauf die tuberkulostatische Therapie eigenständig ab.
Der Ernährungszustand der Patientin zum Anamnesezeitpunkt ist schlecht. Bei einer Körpergröße von 1,50 m wiegt sie 31 kg, was einen BMI von 14 ergibt. Der Psychiater beschreibt sie unter anderem als distanzlos, enthemmt, zerstreut, überfreundlich, größenwahnsinnig, euphorisch affektiert und labil. Die vorläufige Diagnose lautet „organische affektive Störung“.
Zerstreute Frau, verstreuter Erreger
Die Frau berichtet von verstärkten Kopfschmerzen und in der körperlichen Untersuchung fällt Nackensteifigkeit und ein positives Kernig-Zeichen auf. Eine kontrastmittelverstärkte CT-Aufnahme des Gehirns zeigt multiple Tuberkulome rechts temporoparietal mit deutlichen periläsionalen Ödemen.
Die Miliartuberkulose ist eine verstreute Form der Tuberkulose, die durch kleine, linsengroße Krankheitsherde in der Lunge und anderen Organen (z. B. Leber, Milz) gekennzeichnet ist. Der Befall des zentralen Nervensystems ist sehr selten. Dass sich dies in psychiatrischen Symptomen äußert, ist in der Literatur bisher nur in vereinzelten Fällen beschrieben.
Die behandelnden Ärzte rufen Psychiater daher zu verstärkter Achtsamkeit auf, wenn ihre Patienten zusätzlich zu psychischen Auffälligkeiten Symptome wie Fieber und Gewichtsverlust aufweisen. Aufgrund der zahlreichen Nebenwirkungen der Tuberkulostatika ist die Compliance bei der Einnahme häufig mangelhaft, wodurch die vorgeschriebene Einnahmedauer von insgesamt sechs Monaten nicht eingehalten wird. Bestehen berechtigte Zweifel an der Compliance, ist eine Medikamenteneinnahme unter Aufsicht empfehlenswert.
Nochmal gut gegangen
Die Patientin erhielt nach Diagnosestellung zusätzlich zur gängigen Anti-Tuberkulose-Therapie zwei Wochen lang intramuskulär Streptomycin. Zusätzlich wurde durch Olanzapin und Lithium innerhalb einer Woche eine Minderung der psychischen Symptome erzielt. Sie befindet sich seitdem auf dem Weg der Besserung.
Quelle:
Affective Psychosis: A Rare Presentation of Tubercular Meningitis in a Tertiary Care Hospital; Preethi V Reddy et al., Journal of Case Reports, doi: 10.17659/01.2017.0111
Artikel von Maren Böcker