Nach einem Aufwärtshaken gegen einen Boxsack leidet ein 30-jähriger Mann unter Schmerzen im rechten Arm. Das Trauma war minimal, die Bildgebung zeigt keine verletzten Strukturen - und doch schwebt der Patient in akuter Gefahr.
Beim Training verletzt sich ein 30-jähriger Hobbyboxer am Unterarm. Ein Aufwärtshaken gegen den Boxsack hatte einen unmittelbaren stechenden Schmerz zufolge, der vom Handgelenk bis in den Ellenbogen ausstrahlte. Zwei Tage später schmerzt der Ellenbogen so stark, dass der Mann eine Notaufnahme aufsucht.
Der Arm ist zunehmend gerötet und angeschwollen, die Haut zudem deutlich gespannt. Auch sind Ellenbogen, Handgelenk und Finger nur eingeschränkt beweglich. In der körperlichen Untersuchung zeigt sich eine verstärkte Schmerzempfindlichkeit bei Berührung – Durchblutung und Sensibilität sind jedoch intakt.
Thrombose, Entzündung oder Trauma?
Im MRT wird ein massives Ödem im proximalen M. brachioradialis und M. extensor carpi radialis longus sichtbar. Eine Verletzung von Sehnen, Ligamenten, Muskeln oder Knochen ist jedoch nicht zu erkennen. Im Ultraschall findet sich ein non-okklusiver Thrombus in der Vena brachialis.
Die Ursache der Symptome ist weiter unklar. Besonders die starke Rötung verwundert die Ärzte. Unter Abwägung aller Informationen halten sie das Trauma durch den Aufwärtshaken für so minimal, dass sie bei der vorliegenden klinischen Symptomatik eher eine venöse Abflussstörung oder ein Phlegmon vermuten. Der Patient erhält somit Antibiotika und Antikoagulation und wird stationär aufgenommen.
Akutes Nierenversagen, akuter Handlungsbedarf
Trotz Antibiose ist nach vier Tagen keine Besserung zu verzeichnen, die Schmerzen nehmen kontinuierlich zu. Kurz darauf entwickelt der Patient zusätzlich akutes Nierenversagen und dem Ärzte-Team dämmert, dass es mit den Verdachtsdiagnosen falsch liegt. Vielmehr erhärtet sich die Vermutung eines Kompartmentsyndroms – eine durch Rhabdomyolyse induzierte Myoglobinurie würde dabei die eingeschränkte Nierenfunktion erklären.
In der Tat finden die Chirurgen bei der Fasziotomie am Unterarm eine dunkle Verfärbung der radialen Extensorengruppe. Sie räumen das Hämatom, das die Muskeln umgibt. Bereits bei der Kontrolle vier Tage später zeigt sich die Muskelgruppe pink und ohne Zeichen für Nekrose.
Kompartmensyndrom Nummer zwei
Dass der Patient trotz der um sechs Tage verspäteten Diagnose keine bleibenden Schäden davontrug, erklären sich die Ärzte mit einem Autounfall, der zehn Jahre zurückliegt. Dabei hatte der Patient im rechten Ober- und Unterarm eine Quetschverletzung erlitten, die ebenfalls zu einem Kompartmentsyndrom geführt hatte. Die Faszienspaltung, die damals durchgeführt wurde, habe vermutlich einen langsameren Druckanstieg im Gewebe bewirkt und Schlimmeres verhindert.
Quelle:
After a punch: recurrence of compartment syndrome following minor trauma; Stanislav Ryndin et al., Journal of Surgical Case Reports, doi: 10.1093/jscr/rjy011
Artikel von Maren Böcker