Aufgrund von zunehmender Schwäche und Schwindel stellt sich eine Schwangere in der Notaufnahme vor. Sie ist in der 37. Woche, leidet an Hyperemesis und einer Eisenmangelanämie, hat weiter keine Vorerkrankungen. Ihr dramatischer Krankheitsverlauf lässt die Ärzte lange ratlos.
Ihre Vitalparameter sind stabil, lediglich ein unregelmäßiger Herzschlag fällt bei der Untersuchung auf. Im Urin werden Proteine und Erythrozyten nachgewiesen, die Ergebnisse der Blutuntersuchung sind ebenfalls alarmierend. Zusätzlich zur Anämie (Hb 8,2 g/dl, Hkt 26,3 %) hat die Patientin eine starke Hypokaliämie (Kalium 2,1 mmol). Sie erhält umgehend intravenöse Infusionen, um die Elektrolyte auszugleichen und wird am Monitor überwacht.
Im EKG zeigen sich zahlreiche Episoden ventrikulärer Tachykardien sowie bigeminaler und trigeminaler Rhythmusstörungen. Ihr Troponin I-Wert befindet sich im Normbereich, doch der Creatinkinase-Wert ist mit 7971 U/L massiv erhöht. Die Patientin wird auf die Intensivstation verlegt. Die Werte weisen auf eine Rhabdomyolyse hin, den Zerfall von Muskelfasern.
Schwer krank – aber warum?
Im Herzultraschall fällt eine Dilatation des linken Ventrikels auf, die Ejektionsfraktion beträgt zudem nur noch 30 %. Bei Verdacht auf eine peripartale Kardiomyopathie erhält sie ß-Blockerund zwei Einheiten Erythrozythenkonzentat. Die Ärzte behandeln die Symptome, tappen bei der Suche nach der Ursache jedoch weiter im Dunkeln. Zwei Tage später leiten sie daher die Wehen ein und die Frau bringt einen gesunden Jungen zur Welt. Postpartum wird verstärkt die Herzinsuffizienz behandelt, da nun mehr Medikamente einsetzbar sind. Die Blutwerte stabilisieren sich, doch der Kaliumspiegel der Patientin bleibt trotz kontinuierlicher Zufuhr weiter niedrig.
Pflegekraft und Detektiv
Zwei Tage nach Geburt des Kindes wird dann die Ursache für ihren Gesundheitszustand bekannt. Sie vertraut einer Pflegekraft an, dass sie seit Jahren täglich eine 500 g Box Backpulver zu sich nimmt. Backpulver besteht hauptsächlich aus Natriumbicarbonat und verursacht im Körper metabolische Alkalosen und Hypokaliämien, was wiederum zu der Rhabdomyolyse führte. Auch während ihres Krankenhausaufenthaltes habe sie die Einnahme fortgesetzt. Sie selbst sah darin ein wirksames Heilmittel gegen Schluckauf, doch die Ärzte interpretieren es als ein Symptom des Pica-Syndroms. Das ist eine seltene Essstörung, bei der ungenießbare Substanzen oder Gegenstände (z.B. Steine, Kalk, Abfälle, Kot, Staub) verzehrt werden. In der Literatur sind zahlreiche Fälle beschrieben, in denen Pica zu Schwangerschafskomplikationen führte. Die Ärzte mahnen besonders bei Erkrankungen zu verstärkter Aufmerksamkeit, die nicht auf gängige Behandlungsansätze ansprechen.
Quelle:
Baking soda pica associated with rhabdomyolysis and cardiomyopathy in pregnancy. Scolari Childress KM, Myles T. , Obstetrics & Gynecology, doi: 10.1097/AOG.0b013e31829634b7
Artikel von Maren Böcker