Im Schlaf erleidet eine junge Frau innerhalb von drei Monaten mehrere Krampfanfälle. Ihr erster Anfall ist dabei gekennzeichnet von Bewusstseinsverlust, starker Kontraktionen mit Versteifung der Extremitäten und anschließender klonischer Phase mit unwillkührlichen rhythmischen Muskelzuckungen – typische Anzeichen eines Grand-mal-Anfalls.
Bei weiteren Episoden kommen lateraler Zungenbiss, Augenrollen und repetitives Singen einer Phrase hinzu. Nach jedem Anfall ist sie für zehn bis 15 Minuten nicht ansprechbar und fällt anschließend in einen tiefen Schlaf. An die Vorfälle kann sie sich nach dem Aufwachen nicht erinnern.
Klarer Fall einer Psychose?
Eines morgens entwickelt die 19-Jährige im Schlaf Myoklonien und Agitationen. Sie ist stark verwirrt, schreit und spricht unverständlich. Ihr Zustand hält für drei Tage an, bevor sie in eine psychiatrische Klinik eingeliefert wird. Während der körperlichen Untersuchung ist die Patientin ruhelos, desorientiert, reagiert nicht auf Anweisungen und produziert abnormale Klick-Laute. Die Untersuchung und ihre Krankheitsgeschichte liefern jedoch keine Hinweise auf ihren Zustand.
Die Ärzte behandeln die junge Patientin zunächst mit Benzodiazepinen, um sie ruhigzustellen. Bei der Blutuntersuchung können die Ärzte keine abnormalen Werte feststellen. Auch eine durchgeführte Elektroenzephalographie, Ultraschalluntersuchung des Abdomens sowie ein MRT-Scan des Gehirns zeigen keine Auffälligkeiten. Über die nächsten Tage entwickelt sie weiteres abnormales Verhalten: Sie läuft ziellos umher, beginnt zu tanzen oder „wie eine Schlange“ über den Boden zu kriechen.
Keine Besserung trotz Medikamente
Gegen diese Symptome verabreichen ihr die Ärzte zunächst Lorazepam und anschließend Olanzapin. Ihr Zustand verbessert sich nicht. Ihre Ärzte rätseln weiterhin über die Ursache ihres Zustands. Auch eine Infektionskrankheit wird mittels Liquoranalyse ausgeschlossen. Die Ärzte veranlassen erneut eine Blutuntersuchung. Nun fällt ihnen ein stark erhöhter Wert auf: Der Serumspiegel der Anti-TPO-Antikörpern liegt bei 1261.4 U/ml, normalerweise befindet sich der Wert bei < 60 U/ml. Hierbei handelt es sich um einen Antikörper gegen das Enzym Schilddrüsenperoxidase. Diese ist an der Bildung der Schilddrüsenhormone beteiligt. Bei Autoimmunerkrankungen der Schilddrüse ist dieser Wert erhöht.
Die Ärzte sind sich in ihrer Diagnose nun sicher: Die Patientin leidet an Hashimoto-Enzephalopathie. Andere autoimmune Enzephalopathien schließen die Ärzte aus. Daraufhin erhält die Patientin Methylprednisolon und anschließend Prednisolon. Ihr Zustand verbessert sich über die nächsten Tage zusehends und sie erholt sich nach einigen Monaten vollständig.
Hashimoto-Enzephalopathie (HE) ist eine seltene, aber schwere Erkrankung. Die Häufigkeit wird vermutlich aufgrund der geringen Kenntnis über diese Krankheit unterschätzt. Die Ärzte weisen darauf hin, dass ungeklärte Fälle von Enzephalopathie oder atypische psychatrische Symptome auch auf eine HE hinweisen könnten. Daher sollte sie in diesen Fällen als Differentialdiagnose in Betracht gezogen werden.
Quelle:
Hashimoto’s Encephalopathy Presenting with Unusual Behavioural Disturbances in an Adolescent Girl
Murugan Selvaraj Karthik et al., Case Rep Med, doi: 10.1155/2017/3494310; 2017