Patienten mit hohen LDL-Cholesterinwerten fühlen sich durch die schützende Wirkung des „guten“ HDL-Cholesterins abgesichert. Zu unrecht? Eine neue Studie widerlegt diesen Effekt. Kardiologe Dr. Waller bespricht mit Hypertensiologe Dr. Sinning, ob der atherogene Index noch zeitgemäß ist.
Dr. Stefan Waller ist Internist und Kardiologe. Das Thema e-health liegt ihm besonders am Herzen. Als Dr. Heart produziert er leicht verständliche Videoclips zur Herz-Kreislauf-Medizin und gesundem Lebensstil für Patienten und Laien. Dieses Gespräch führt er mit Internist und Hypertensiologe Dr. David Sinning von der Charité Berlin. Das Video in schriftlicher Ausführung: Dr. Stefan Waller: Viele Patienten, die mit einem hohen LDL-Cholesterin-Wert zu mir in die Praxis kommen, sagen: „Doktor, alles nicht so schlimm, ich habe ja einen hohen HDL-Wert, mein atherogener Index ist ja vollkommen in Ordnung.“ Jetzt gibt es neue Studien die das widerlegen. Müssen wir unseren Patienten den Zahn vom schützenden HDL-Cholesterin ziehen? Dr. David Sinning: Ja, den Zahn müssen wir ziehen. Denn wir haben jahrelang gedacht, dass hohes HDL einen schützenden Effekt hat. Und das hat dann dazu geführt, dass die Labore den LDL/HDL-Quotienten mit aufgeführt haben. Es hieß dann: Der LDL-Wert ist zwar hoch, aber das HDL ist eben auch hoch und deswegen brauchen wir da primär gar nichts zu machen. Und das ist im Grunde genommen falsch, weil wir jetzt diese neuen Erkenntnisse haben. Größere Beobachtungsstudien haben gezeigt, dass eben Patienten mit sehr hohen HDL-Werten ein erhöhtes Risiko haben, einen Schlaganfall oder einen Herzinfarkt zu erleiden. Bei einem Wert jenseits von 60 – 80 mg/dl. Insofern muss man sagen: 1. Hohes HDL schützt in keinster Weise. 2. Der atherogene Index ist im Grunde genommen Unsinn und sollte entfernt werden. 3. Ein erhöhtes HDL sollten niemals ein Grund dafür sein, das ebenfalls erhöhte LDL bei Risikopatienten nicht abzusenken. Dr. Stefan Waller: Das heißt man kann sich als Patient mit hohem LDL nicht in Sicherheit wähnen, wenn das HDL erhöht ist. Dr. David Sinning: Das wäre nicht empfehlenswert. Man sollte es nicht als Argumentation anführen, dass erhöhte LDL stehen zu lassen. Und im Grunde genommen, macht es die Sache ja auch einfacher für den Patienten. Dr. Stefan Waller: Und für den behandelnden Arzt ja eigentlich auch, der kann sich dann auf das LDL konzentrieren. Dr. David Sinning: Aus meiner Sicht, ja. Und interessanterweise waren ja auch alle Studien, die gemacht wurden, in denen man versucht hat, medikamentös das HDL anzuheben und dann geschaut hat, ob es den Patienten etwas bringt, negativ. Insofern ein weiteres Argument dagegen, das LDL aufgrund von hohem HDL nicht abzusenken.
Dr. Stefan Waller: David, es gibt ein weiteres Blutfett, das dem LDL-Cholesterin sehr ähnlich sein soll und noch viel atherogener, noch schädlicher sein soll. Die Rede ist vom Lipoprotein-klein-a (LP(a)). Welche Konsequenzen hat ein erhöhter LP(a)-Wert für den Patienten? Dr. David Sinning: Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Das Lipoprotein-klein-a ist dem LDL-Cholesterin von der Struktur her sehr ähnlich und eben noch gefäßschädigender. Es gibt diesen entscheidenden Unterschied zum LDL-Cholesterin und das ist der, dass das Lipoprotein-klein-a praktisch zu einhundert Prozent genetisch bestimmt ist. Das kriegen wir gewissermaßen von unseren Eltern mit auf den Weg und müssen dann damit fertig werden. Und einige Patienten haben das eben erhöht im Blut, es lässt sich auch nur wenig bis gar nicht beeinflussen mit Lebensstilmaßnahmen oder Medikamenten. Und das sind eben Patienten, die man dann möglicherweise mit dem behandelbaren LDL-Cholesterin noch drastischer absenken muss, um den Patienten davor zu schützen, einen Schlaganfall oder –schlimmer noch – einen weiteren Schlaganfall oder Herzinfarkt zu erleiden.
Dr. Stefan Waller: Wie erklärt man sich die extrem ungünstige Wirkung von LP(a)? Dr. David Sinning: Der gefäßschädigende Anteil in dem Molekül ist so strukturiert, dass die Penetration, also das Eindringen in die Gefäßwand, einfacher ist für das Molekül. Dadurch richten viele von den Molekülen auch einen größeren Schaden an. Dr. Stefan Waller: Wann sollte der niedergelassene Arzt, der nicht jeden Tag die Hochrisiko-Patienten hat, auch daran denken, das Lipoprotein-klein-a zu bestimmen? Dr. David Sinning: Im Falle einer positiven Familienanamnese auf jeden Fall. Wenn wir Patienten haben, die in der Familiengeschichte bezüglich Herz-Kreislauferkrankungen Auffälligkeiten haben, gehört das auf jeden Fall dazu. Meiner Ansicht nach, muss bei jedem Menschen einmal im Leben das Lipoprotein-klein-a bestimmt werden. Lieber frühzeitig, da spricht aus meiner Sicht nichts gegen. Es gibt Nationen in Europa, bei denen gehört das Lipoprotein-klein-a – übrigens auch das LDL-Cholesterin– zum Neugeborenen-Screening dazu. Etwas, das ich politisch stark unterstützen würde. So erkennt man frühzeitig Patienten, die genetisch bedingt ein hohes Risiko haben für Schlaganfälle oder Herzinfarkte. Es lässt sich frühzeitiger entgegenwirken und frühzeitiger über medikamentöse Maßnahmen nachdenken. Dr. Stefan Waller: In letzter Zeit habe ich häufig von besonders schädlichen LDL-Partikeln gelesen, den small dense LDL-Partikeln (sdLDL). Was hat es damit auf sich? Dr. David Sinning: Es gibt diese small dense-LDL-Partikel, das sind sehr kleine Partikel, die aufgrund ihrer kleinen Größe äußerst gefäßschädigend wirken. Wenn wir Patienten haben mit vermeintlich niedrigen LDL-Werten und trotzdem hohen Risiko, z.B. durch einen erlittenen Schlaganfall, dann sind diese small dense-LDL-Partikel möglicherweise ein Risikofaktor. Man kann sie im Blut messen oder über andere Weise bestimmen. Auch da gilt dann wiederum für die Patienten, das behandelbare LDL-Cholesterin drastisch abzusenken. Möglicherweise auch noch unter diese 70 mg/dl, die aktuell empfohlen werden für Risikopatienten, um im Einzelfall eine schützende Wirkung zu erhalten.
Dr. Stefan Waller: Vielen Dank für das Gespräch. Wir können festhalten, dass der HDL-Wert als Therapieziel sicherlich out ist, wir können den atherogenen Index von unseren Laborzetteln streichen und uns in Zukunft auf das LDL-Cholesterin konzentrieren und damit unsere Patienten in Zukunft auch weniger verwirren.
Studie: Elevated HDL-C is associated with adverse cardiovascular outcomes; Allard-Rattick et al.; European Heart Journal; doi: 10.1093/eurheartj/ehy564.50; 2018