Checkpoint-Inhibitoren sind ein junges Mitglied der Immuntherapie-Familie gegen Tumoren. Zusammen mit etablierten Therapien schaffen sie, was bisher nur selten gelang: Den Krebs auch langfristig aus dem Körper zu vertreiben.
Melanom und Bronchialkarzinom. Zwei Krebsarten, die vielen Onkologen einen Schauer über den Rücken jagen, auch wenn die Perspektive nicht mehr ganz so düster wie vor einigen Jahren ist. Gerade bei diesen zwei Erkrankungen scheint es neue Möglichkeiten zu geben, den Patienten mehr Lebenszeit zu schenken. So erzählt Edward Garon von der University of California in Los Angeles von einem Bankett, das er für Überlebende seiner ersten Immuntherapie-Studien vor drei Jahren gab. „Alle hatten Lungenkrebs im fortgeschrittenen Stadium und viele waren zu schwach zum arbeiten.“ Nun würden sie wieder ihrem Beruf nachgehen und Sport treiben. „Wir konnten niemals zuvor ein solches Bankett organisieren. Aber ich hätte gerne noch viel mehr davon.“
Vor einigen Jahren starteten mutige Wissenschaftler die ersten Studien mit Wirkstoffen, die ganz gezielt die körpereigene Abwehr angehen sollten, um sie im Kampf gegen entartete Zellen ohne Teilungshemmung scharf zu machen. Nicht immer erfüllten die ersten Versuche die hochgesteckten Erwartungen, aber immer öfter hörte man von einer Wirkstoffklasse, die wohl recht erfolgreich auch bei scheinbar aussichtslosen Fällen das Leben der Patienten verlängerte: den „Checkpoint-Inhibitoren“. Sie bekämpfen eine Schwachstelle bei der Regulation des Immunsystems. Eigentlich als Bremse gegen übereifrige T-Lymphozyten gedacht, nutzen Tumorzellen diese „Checkpoints“, um sich vor Attacken der Abwehr zu schützen. Die Bindung zwischen dem Rezeptor PD-1 auf regulatorischen T-Zellen und seinem Liganden auf Tumorzellen verhindert den programmierten Zelltod dieser Kontroll-T-Zellen. CTLA-4, ein weiteres dieser Schlüsselmoleküle auf T-Zellen funktioniert als eine Art Ausschaltknopf bei der Antwort auf ein bedrohliches Antigen. Nach den ersten Erfolgen der Inhibitoren Ipilimumab (gegen CTLA-4) und Nivolumab (PD-1) wich der erste Enthusiasmus vielen enttäuschten Hoffnungen. Denn die beiden Wirkstoffe reagierten anders als bisher bekannte Mittel, die zuerst den Tumor fast zunichte machten, dann aber versagten, wenn der Tumor wiederkam. Die Checkpoint-Inhibitoren wirkten bei einigen Patienten auch auf lange Zeit, aber eben nur bei einigen. Die Kombination beider Antikörper hob die Response-Rate bei fortgeschrittenem Melanom zwar von 19 auf 58 Prozent, andere Tumorarten wie etwa Prostata- oder Pankreaskarzinome antworteten dagegen kaum oder gar nicht. Wirkweise von PD-1 bzw PD-1L1-Inhibitoren © Therese Winslow LLC/USA
Die Wirksamkeit der Checkpoint-Inhibitoren beruht allem Anschein nach darauf, dass sie bei der Begegnung zwischen Tumor und T-Zelle die Bremse für den Angriff lösen. Was aber, wenn sich am Rand des Tumors nicht genug T-Zellen versammeln, um überhaupt einen Angriff zu starten? Ein richtiger Entzündungsherd rund um den Tumor ist dann nicht vorhanden. Daher lag die Idee nahe, eine Kombination von Checkpoint-Inhibitor mit einem Wirkstoff einzusetzen, der für eine effektivere Rekrutierung der Abwehr sorgt: Am besten, indem er Tumorzellen zerlegt, damit die freigesetzten Antigene den T-Zellen im Hinterland präsentiert werden. Die Idee sorgte innerhalb kurzer Zeit für eine Fülle an Studien, die alte und neue Wirkstoffe mit Ipilimumab und seinen Verwandten kombinierten. So erproben Wissenschaftler zur Zeit bei Patienten mit Bronchialkarzinom die Kombination von Ipilimumab und Nivolumab, obwohl der CTLA-4-Hemmstoff allein kaum etwas gegen die entarteten Zellen der Atmungsorgane ausrichtet. Bei Melanom-Patienten sind die ersten Studien von Checkpoint-Inhibitoren mit Wirkstoffen abgeschlossen, die die Signaltransduktion der Zellen beeinflussen. Mutationen im Proto-Onkogen B-Raf sorgen für Überleben und Proliferation von Tumorzellen. Vorläufige Ergebnisse nach relativ kurzer Zeit scheinen die Wirksamkeit der neuen Kombination zu bestätigen. Einige Versuche mit einer sequentiellen Behandlung zielen darauf ab, erst einmal den Tumor ruhig zu stellen und Antigen freizusetzen. Erst im zweiten Schritt soll dann der Checkpoint-Inhibitor einen Generalangriff einleiten. Jedd Wolchok, einer der Hauptakteure auf diesem Gebiet, erklärt die entsprechende Logik. „Wir sollten nicht gleichzeitig versuchen, das Immunsystem zu aktivieren und das Signalling abzuschalten.“
Ein kürzlich erschienener Review listet mehr als 30 Studien bei Patienten mit Melanom, nicht-kleinzelligem Bronchialkarzinom und Nierenzellkarzinom auf. Eine präklinische Studie aus Basel zeigt, dass Checkpoint Inhibitoren zusammen mit Trastuzumab-Emtansin im Mausmodell bei Her2-positiven Brustkrebs die Wirkung der Einzelsubstanzen noch einmal beträchtlich steigert. Aber auch die Kombination mit traditioneller Chemotherapie und Bestrahlung kann die Wirkung der Monotherapien noch einmal kräftig in die Höhe treiben. Vielfach, so meinen renommierte Onkologen, würden aber auch Kombinationen ausprobiert, weil die entsprechenden Wirkstoffe und Patienten gerade greifbar wären. „Ich fürchte“, so meint etwa Alfred Zippelius aus Basel, „wir werden in den nächsten Jahren einige Enttäuschungen im Hinblick auf die Immuntherapie erleben.“ Die Konkurrenz um den großen Wurf bei der Krebstherapie ist groß. „Die Leute präsentieren ihre Studienergebnisse,“ so Edward Garon, „wenn die Zahl der behandelten Patienten größer als fünf ist.
Ob der Checkpoint-Inhibitor wirkt oder versagt, und warum, weiß bisher kaum jemand zu beantworten. Dabei kommen auch Faktoren ins Spiel, die vorher kaum bedacht werden. Zwei Publikationen aus dem letzten Jahr beschreiben etwa, dass zumindest bei der Maus der Erfolg dieser Wirkstoffe auch von der Darmflora abhängt. Unterschiedlich aufgezogene Versuchstiere zeigten danach unterschiedliche Reaktionen auf die Gabe eines Checkpoint-Blockers. Eine Stuhltransplantation von Tieren mit effektiver Immunantwort stellte die Wirkung der Tumor-Antikörper in Mäusen wieder her, bei denen sie vorher versagt hatte. Zum Angriff des Immunsystems gegen den Tumor reichte bei diesem Experiment sogar schon die Transplantation allein. Auf der diesjährigen Konferenz der amerikanischen Onkologen ASCO vor einigen Tagen berichteten Wissenschaftler von ihren Vorhaben mit dieser Form der Immuntherapie bei Kopf-Hals-Tumoren, beispielsweise in Kombination mit gut dosierter Strahlentherapie, die in der Lage ist, die Zielantigene für PD-1 und CTLA-4 Inhibitoren freizusetzen. Die Zahl neuer Studien von Checkpoint-Inhibitoren zusammen mit anderen Mitteln ist seit einiger Zeit sprunghaft angestiegen. © Nature 2016
Bei aller Freude über die immer häufigeren Erfolge von Kombinationen erprobter Krebsmedikamente mit der neuen Wirkstoffklasse gibt es doch auch Schattenseiten. Mit der Effektivität gegen den Tumor nehmen auch ernsthafte Nebenwirkungen zu. Trotz Zulassung von der amerikanischen FDA wurde eine Melanom-Studie mit Ipilimumab und Nivolumab bei fast einem Drittel der Patienten aufgrund einer Lebertoxizität abgebrochen. Bei nichtkleinzelligem Lungenkrebs reagierten rund zwei Drittel der Patienten auf die Kombination von Chemotherapie und Anti-PD-1 oder anti-PD1-Ligand, aber 40 Prozent der Behandelten zeigten auch Zeichen einer schweren Vergiftung. Wie auch bei einer Schweizer Melanompatientin, die nach ihrem Tod autopsiert wurde und Zeichen einer systemischen Entzündung aufwies, wohl als Folge der gelockerten Abwehr-Bremsen. Glaubt man den Fachleuten, scheint man Nebenwirkungen aber immer besser in den Griff zu bekommen. Auch das Ausprobieren unzähliger Kombinationen nimmt anscheinend langsam ein Ende - zugunsten strategischer Überlegungen bei der Wahl der geeigneten Mittel. Es sieht so aus, als ob sich vermeintliche Misserfolge bei der Monotherapie mit der Wahl einer passenden Kombination noch in gute Heilungsraten umwandeln ließen. Dann stünde den Antreibern der menschlichen Immunabwehr gegen den Feind in Form entarteter Körperzellen eine große Zukunft bevor.