Noch nie drängten so viele neue psychoaktive Substanzen (NPS) auf den Markt wie in den letzten Jahren. Es gibt etwa legales synthetisches THC oder Cathin. Im Internet sind Opiate sogar straffrei zu beziehen. Ein neues Gesetz hat den NPS den Kampf angesagt, leider nicht allen.
Bisher musste eine als Droge verwendete Substanz analysiert werden und wurde dann als „nicht verkehrsfähiges und nicht verschreibungsfähiges Betäubungsmittel“ in die Anlage der Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung (BtMVV) eingruppiert. Änderten die Hersteller nur eine einzige Molekülgruppe, war diese Substanz plötzlich legal - Igel trifft Hase. Damit ist seit dem 5. Mai 2016 Schluss.
Die Europäische Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht (EBDD) hat im Rahmen des europäischen Frühwarnsystems mehr als 560 neue psychoaktive Substanzen (NPS) ermittelt. Synthetische Cannabinoide, Phenethylamine und Cathinone machen zwei Drittel aller neuen Stoffe aus, die über das europäische Frühhwarnsystem gemeldet werden. Die Drogen werden oft verharmlosend als Kräutermischungen, Badesalze, Lufterfrischer oder Pflanzendünger deklariert, verpackt und verkauft. In einer Übersichtsarbeit von Schifano et al. wird betont, dass viele der Substanzen nicht wirklich neu sind. Einige wurde bereits vor Jahrzehnten, teils als Arzneimittel, entwickelt und schlummerten bei der Industrie und bei Untergrundchemikern. Das Arsenal der noch nicht auf den Markt gedrängten Substanzen ist fast unerschöpflich groß. Auch über den Einsatz von NPS als Arzneimittel wird diskutiert.
Mit dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 10. Juli 2014, nach dem bestimmte NPS nicht unter den Arzneimittelbegriff fallen, können NPS in der Regel nicht mehr als Arzneimittel im Sinne des Arzneimittelgesetzes (AMG) eingeordnet werden. Damit entstand ein rechtliches Vakuum, das Herstellung und Vertrieb Tür und Tor öffnete. Österreich hat es uns vorgemacht und vor fast vier Jahren ein Gesetz erlassen, das dieses Vorgehen nun strafbar macht. Das neue Gesetz macht es den Untergrundchemikern nun schwerer. Bislang werden NPS einzelstofflich (enumerativ) in die Anlagen des BtMG aufgenommen und dadurch strafbewehrt. „Es ist verboten, mit einem neuen psychoaktiven Stoff Handel zu treiben, ihn in den Verkehr zu bringen, ihn herzustellen, ihn in den, aus dem oder durch den Geltungsbereich dieses Gesetzes zu verbringen, ihn zu erwerben, ihn zu besitzen oder ihn einem anderen zu verabreichen“, so der Gesetzestext. Die Neuregelung war überfällig. Nun werden nicht mehr einzelne Substanzen als illegale Betäubungsmittel (BtM) eingestuft, sondern chemische Gruppen. Diese werden als Strukturelemente definiert. Nun sind bestimmte Ringsysteme per se als BtM eingestuft und es werden Duzende Radikal-Gruppen benannt, die nicht an andere Moleküle angehängt werden dürfen. Klingt kompliziert – ist es auch. Nur Chemiker können beurteilen, ob eine NPS illegal ist, oder nicht. Im neuen Gesetz werden zwei Grundstrukturen als illegal eingestuft. Alle Verbindungen mit einer 2-Phenylethylamin-Grundstruktur und weiter im Gesetz definierten „Resten“ sind nun verboten. Darunter zählen beispielsweise Amphetamine und Cathinone. In diese Gruppen lassen sich weit über 2.000 Derivate eingruppieren. Die zweite Gruppe sind synthetische Cannabinoide, die bekanntesten Vertreter sind beispielsweise SPICE und SPACE.
Insgesamt weist der Gesetzentwurf in die richtige Richtung. Dennoch werden zahlreiche Molekülvarianten gar nicht erfasst. Das Gesetz wird den Erfindungsreichtum der Chemiker anheizen, NPS zu entwickeln, die auf einer anderen Zusammensetzung basieren. Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe ist überzeugt: „Mit dem weitreichenden Verbot neuer psychoaktiver Stoffe durchbrechen wir endlich den Wettlauf zwischen dem Auftreten immer neuer chemischer Varianten bekannter Stoffe und daran angepassten Verbotsregelungen im Betäubungsmittelrecht. Damit geben wir das klare Signal: Legal Highs sind verbotene und hochgradig gesundheitsgefährdende Stoffe.“ Die Drogenbeuaftragte Mortler betonte beim internationalen Anti-Drogengipfel: „Abhängigkeit ist kein moralisches Fehlverhalten, sondern eine Krankheit“.
Zwei NPS machen derzeit besonders von sich reden: MXE und K2. Methoxetamin (2-(3-methoxyphenyl)-2-(ethylamino)cyclohexanone) oder kurz MXE wurde von einem Chemiker gezielt als Droge entwickelt und zeigt eine strukturelle Verwandtschaft zu Ketamin und PCP. Bei dieser „Vermählung“ graust es dem Kenner. Ketamin ist ein in der Tier- und Humanmedizin verwendetes Narkoanalgetikum. Schon in den 1970er Jahren experimentierten zahlreiche User mit der Substanz und berichteten über todesnahe Erfahrungen (near-death-Erleben, NDE). Die Konsumenten beschrieben als Wahrnehmung ein Licht am Ende eines Tunnels, dem sie entgegengingen. Auch heftige Albträume wurden zahlreich in den Foren beschrieben. Um diese Wirkungen in der Medizin abzuschwächen, wurde das Racemat in seine Enantiomere getrennt und als S-Ketamin vertrieben. Ketamin als Droge missbraucht kann zu Blasenschäden führen, der Erfinder von MXE beschreibt seine Droge als „blasenfreundlich“. Eine schlimmere Kombination als mit PCP ist kaum vorstellbar. Nahezu alle Drogen, die in den USA vertrieben werden, schaffen es nach Deutschland. Nicht so PCP. Die Warnungen dieser „Horrordroge“ sind wohl so drastisch, dass es „Angeldust“ nicht bis zu uns geschafft hat. Chemisch betrachtet ist es 1-(1-Phenylcyclohexyl)Piperidin. Es wirkt halluzinogen, sedierend, euphorisch, löst ein Gefühl der Unwirklichkeit aus. Die Konsumenten beschreiben eine Verzerrung des räumlichen und zeitlichen Empfindens und Störungen der kognitiven Wahrnehmung. Es erschreckt, wie sich die strukturelle Ähnlichkeit von MXE auf die Neurobiologie der Wahrnehmung auswirkt. In Foren beschreiben es die Konsumenten in der Tat so, als hätten Sie Ketamin und PCP zusammen eingenommen. Die Marketingabteilungen der Untergrundchemiker und Dealer haben kreative Arbeit geleistet, die Bezeichnungen sind vielfältig: 3-MeO-2-Oxo-PCE, MXE, Mexxy, M-ket, MEX, Kmax, Special M, Minx, Jipper oder Roflcoptr.
Methoxetamin ist ein Dopamin-Wiederaufnahmehemmer und wirkt als Kanalblocker an den NMDA-Rezeptoren (N-methyl-D-aspartat). Außerdem zeigt es eine starke Affinität an Opiatrezeptoren. Die Substanz wird geschluckt, geschnieft, gespritzt (i.v. oder i.m.) oder rektal appliziert. In Tierversuchen erfolgt der hepatische Metabolismus über CYP2B6 und CYP3A4 , weshalb Interaktionen mit zahlreichen Arzneimitteln zu erwarten sind. User beschreiben Euphorie, Halluzinationen, die Identifikation mit Objekten („ich bin eine Teekanne“) und immer wieder das Gefühl der „gesplitteten Wahrnehmung“. Unter dem Einfluss der Droge fühlt man sich wahnsinnig und psychotisch, kann aber sein Erleben reflektieren und weiß, dass der Trip vorübergeht. Andere Konsumenten genießen die Nahtoderfahrungen und freuen sich über eine „Wiedergeburt“. Es erstaunt, dass solche komplexen Gefühle durch eine chemische Substanz reproduzierbar unter differierendem Set und Setting erzeugt werden. Der Chemiker, der die Droge designt hat, gibt anonyme Interviews und rühmt sich mit der Wirkung seiner Entwicklung. Was er verschweigt sind die negativen Effekte: Herzrasen, Mydriasis, Übelkeit, Erbrechen, Hypertonie und Bewusstlosigkeit. In Deutschland unterliegt Methoxetamin dem Betäubungsmittelgesetz (BtMG).
Nach einer Studie von Hohmann et al. spielen synthetische Cannabinoide bei Intoxikationen eine herausragende Rolle. Nach Angaben des Rechtmediziners Andreas Büttner sind mehrere Jugendliche in Rostock an Legal Highs vom Cannabistyp gestorben. Im Jahr 2009 kam SPICE auf den Markt, war legal, enthielt mehrere synthetische Cannabinoide und erfreute sich großer Beliebtheit. Der „Vater“ der Cannabinoidderivate ist Chemiker, emeritierter Hochschullehrer, heute fast 80 Jahre alt und lebt in North Carolina: John William Huffman. Er hat fast 500 THC-Agonisten entwickelt, viele tragen seine Initialen. JWH-018 (1-pentyl-3-(1-naphthoyl)indole) ist derzeit in der Szene unter dem Namen K2 oder Scooby Snax total angesagt und besonders in den USA beliebt, sorgt aber auch in der Schweiz für Unruhe unter den Medizinern. Oliver Berg, ärztlicher Leiter vom Zentrum für Suchtmedizin ARUD, warnt vor dem fehlenden sedierenden Effekt: „Im Gegensatz zum natürlichen Cannabis wirkt die synthetische Form kaum noch beruhigend“. In Foren berichten Konsumenten über eine Rauschwirkung, die der von Cannabis nicht unähnlich ist: Entspanntheit, Euphorie und Lachflashs. Anders als Hanf macht K2 jedoch gewaltbereit und aggressiv. Möglich sind tachykarde Herzrhythmusstörungen, epileptische Anfälle sowie Nieren- oder Herzversagen. Ein Kenner der synthetischen Cannabinoide ist Prof. Volker Auwärter vom Institut für Rechtsmedizin in Freiburg. Er warnt auch vor einem genotoxischen Potenzial der synthetischen Cannabinoide.
Dass das NPS-Gesetz Lücken aufweist, zeigt beispielsweise die Tatsache, das der Kratom-Baum und seine Inhaltsstoffe nicht zu den verbotenen BtMs gehören. Bereits im Jahr 2010 wurde die Aufnahme von Kratom in das deutsche Betäubungsmittelgesetz durch den Sachverständigen-Ausschuss des Bundesinstitutes für Arzneimittel und Medizinprodukte geprüft. Die Beschlussfassung zu der Pflanze „Mitragyna speciosa“ wurde vertagt, wie schon mehrere Male zuvor. Der Baum liefert verschiedene Indolalkaloide. Die Hauptalkaloide Mitragynin und 7-Hydroxymitragynin wirken als Opiatagonisten, weisen aber auch eine Strukturähnlichkeit zu dem starken Pilz-Halluzinogen Psilocin auf. Geringe Mengen der gegessenen Blätter wirken analeptisch und cocainähnlich. Größere Mengen wirken sedierend und morphinähnlich. Die Alkaloide wirken am MOR-Rezeptor aber auch agonistisch am serotinergen 5-HT2a-Rezeptor, an postsynaptischen α2 Rezeptoren und an neuronalen Calciumkanälen. Die Europäische Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht (EMCDDA) sieht ein mittleres Abhängigkeitspotenzial bei regelmäßiger Anwendung. Die analgetische Potenz ist, verglichen mit Morphin, 13-Mal so stark. Eine Studie von Pantano et al. warnt vor der Hepatotoxizität von Kratom. Eine tailändische Arbeitsgruppe von Trakulsrichai et al. sieht in Kratom ein potentes Analgetikum oder eine Substanz zur Drogensubstitution. Es ist sehr verwunderlich, das weder die Pflanze noch die Alkaloide der BtMVV unterstehen. Es ist problemlos möglich, Kratomsamen, die ganze Pflanze oder getrocknete Zubereitungen online zu bestellen. Selbst die Alkaloide werden legal zum Verkauf angeboten. 100 g Extrakt kosten 30,90 €, zzgl. 6,90 € für den Versandt, ab 60,- wird kostenfrei geliefert. Es gibt im Shop 5,- Neukundenrabatt und Gutscheine bei positiver Bewertung. Der Shop ist professioneller gestaltet als mancher Elektronikversandhandel, bietet Rechtsberatung und sogar einen Expressversand an.