Ärzte machen Fehler. Sie scheuen sich aber, offen darüber zu sprechen. Zu groß ist die Angst, von Patienten verklagt zu werden, den Versicherungsschutz zu verlieren oder das eigene Ansehen bzw. das der Praxis zu beschädigen. Gastautor Johannes Jaklin, Fachanwalt für Medizinrecht, sagt: Wer offen kommuniziert, gewinnt dadurch mehr als durch Verschwiegenheit.
Ein Patient ist zu Schaden gekommen. Die Angehörigen fordern Aufklärung. Ärzte und Mitarbeiter fühlen sich in die Ecke gedrängt. Tatsächlich aber haben sie jetzt häufig noch die Möglichkeit, den drohenden Konflikt durch gute Kommunikation zu entschärfen.
Je nach Situation lassen sich so:
Um herauszubekommen, wie man diese Ziele erreichen kann, macht es Sinn, sich in die Perspektive des Patienten zu versetzen. Untersuchungen zeigen, dass Patienten oft frustriert sind, weil sie keine überzeugende Erklärung für einen Schadenfall erhalten. So entsteht der Eindruck, dass der Arzt letztlich kein großes Interesse oder Mitgefühl aufbringt. Für viele Patienten ist eine gerichtliche Auseinandersetzung ein Mittel, diese fehlende Information zu erhalten. Bei nur etwa einem Drittel steht das Bedürfnis nach finanzieller Entschädigung im Vordergrund.
Mitarbeiter: Schnell handeln
Ist der Schaden passiert, gilt die erste Aufmerksamkeit dem betroffenen Patienten. Jetzt heißt es: den Schaden begrenzen, seine Folgen mindern, die Ausweitung auf weitere Opfer verhindern.
Der zweite Schritt: Alle an der Behandlung des Patienten mitwirkenden Mitarbeiter müssen über den Vorfall und die bis dahin vorliegenden Erkenntnisse aufgeklärt werden. Außerdem soll ein Sprecher nach außen benannt werden. So vermeidet man Gerüchte und dass Mitarbeiter unkontrolliert Informationen weitergeben. Wichtig ist, dass die Praxis oder das MVZ in einer solchen Situation „aus einem Munde“ spricht.
Die unmittelbar an dem Geschehen beteiligten Mitarbeiter sollten bei schwerwiegenden Ereignissen ein Gedächtnisprotokoll fertigen. Es ist in erster Linie eine Erinnerungsstütze und wird getrennt von den Behandlungsunterlagen aufbewahrt.
Überprüfen Sie die Dokumentation. Wurde alles vollständig und richtig festgehalten? Das ist für die spätere medizinische und juristische Bewertung wichtig. Berichtigungen und Änderungen sind gemäß Patientenrechtegesetz (§ 630g Abs. 1 Satz 2 BGB) zulässig, wenn neben dem ursprünglichen Inhalt erkennbar bleibt, wann sie vorgenommen worden sind.
Falls nötig, bereiten Sie sich auf Presseanfragen vor, zum Beispiel indem Sie eine schriftliche Erklärung parat haben. So werden Sie nicht zum Getriebenen, sondern bleiben Herr des Geschehens.
Patient: Reden ist Gold
Patienten und Angehörigen gegenüber sollte man sich gesprächsbereit zeigen. Eine gute Kommunikationsbasis ist enorm wichtig, um den Schaden konfliktfrei und konstruktiv aufzuarbeiten.
Suchen Sie aktiv das Gespräch. Information ist eine Bringschuld des Arztes. Patienten und Angehörige fordern nun Fakten, aber auch Zuspruch und Einfühlungsvermögen. Wenn Sie dieses Bedürfnis erfüllen können, vermeiden Sie die Eskalation. Das Gespräch ist grundsätzlich Chefsache. Der Patient erhält damit das Signal, dass er ernst genommen wird.
Es hört sich so simpel an, entpuppt sich in der Umsetzung jedoch immer wieder als schwierig: Konzentrieren Sie sich im Gespräch darauf, was passiert ist. Geben Sie alle gesicherten Informationen zu Befundverlauf, Diagnosen, Ereignissen oder Zusammenhängen weiter. Machen Sie deutlich, was noch unklar ist. Berichten Sie Fakten, aber spekulieren und bewerten Sie nicht. Fragt der Patient nach einer Entschädigung, antworten Sie: „Das klärt die Versicherung. Wir unterstützen sie dabei so gut wir können.“ Vereinbaren Sie ein Folgegespräch am besten sofort.
Trotz aller Fakten: Bringen Sie auch Ihr Bedauern zum Ausdruck. Die Erfahrung zeigt, dass die betroffenen Mitarbeiter emotional betroffen sind und mitleiden. Es gibt keinen Grund, dieses Empfinden zu unterdrücken. Hilfreiche Tipps gibt die Broschüre des Aktionsbündnisses Patientensicherheit „Reden ist Gold“.
Versicherung: Nicht einschüchtern lassen
Dürfen Ärzte überhaupt so offen kommunizieren? Riskieren sie damit nicht ihren Versicherungsschutz?
Keine Sorge: Wer über die Fakten berichtet, ist immer auf der sicheren Seite. Selbst wenn Sie offen z. B. über eine Patientenverwechselung informieren, braucht es mehr, um den Versicherungsschutz zu verlieren. Ein rechtlich verbindliches Anerkenntnis wäre ein Satz wie „Ich erkenne meine Schuld an und verpflichte mich, den Schaden zu ersetzen“ oder wenn Sie direkt Schadenersatz zahlen.
Auch Äußerungen des Mitgefühls und des Bedauerns, wie beispielsweise „Es tut uns sehr leid, dass bei der Gebärmutterentfernung der Harnleiter verletzt wurde“ oder „Wir haben Sie mit einem anderen Patienten verwechselt, weshalb anstatt der Durchführung einer Gastroskopie das Einlegen einer Magensonde erfolgte“ stellen kein Anerkenntnis dar.
Darum: Nur Mut! Zeigen Sie Ihr Mitgefühl und Bedauern und sprechen Sie von Mensch zu Mensch.
Tipp: Ein Schaden ist schneller passiert, als man glaubt. Sorgen Sie also vor. Entwickeln Sie auch ohne Anlassfall eine Strategie, schulen Sie Mitarbeiter und Kollegen. So haben Sie im Fall der Fälle Zeit und Kopf frei, um sich ganz dem Patienten widmen zu können.
Gastautor Johannes Jaklin (johannes.jaklin@ecclesia.de) ist Fachanwalt für Medizinrecht bei der Ecclesia Versicherungsdienst GmbH. Mitglieder des NAV-Virchow-Bundes erhalten dort eine Regressversicherung zu besonders günstigen Konditionen. Erfahren Sie hier, welche Vorteile Sie sonst noch als Mitglied im NAV-Virchow-Bund genießen.
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