Die stationäre Weiterbildung zum Facharzt ist nicht mehr zeitgemäß. Wir müssen niedergelassene Ärzte stärker in die Weiterbildung einbinden und neue Wege bei Inhalten und Finanzierung gehen. Ein Gastbeitrag von Dr. Christiane Wessel.
Ich erinnere mich zurück an die Zeit, als ich mich zur Fachärztin für Gynäkologie weiterbilden ließ. Das Kolposkop, ein wichtiges Instrument bei der Zervixkarzinomprävention, stand an jedem Behandlungsstuhl und das Kolposkopieren gehörte wie die Tastuntersuchung zum Standard einer gynäkologischen Untersuchung. Heute habe ich von Weiterbildungsassistenten gehört, dass man sich in der Weiterbildung zunehmend auf die technische Variante der Diagnostik, wie den Vaginalschall, verlässt.
Meine Weiterbilder waren erfahrene Kliniker, die Diagnosen noch mit Hilfe von Anamnese und gynäkologischer Untersuchung stellen konnten. Ich hatte noch die Möglichkeit, die sogenannten kleinen Eingriffe während meiner klinischen Weiterbildung zu erlernen. Heute werden diese größtenteils ambulant durchgeführt.
Und Hand aufs Herz: Welcher Weiterbilder nimmt sich heute schon die Zeit oder kann sich die Zeit nehmen, im Rahmen der Weiterbildung den jungen Kolleginnen und Kollegen das Kolposkopieren beizubringen? Ja, wie viele der heutigen Chefärzte haben das Kolposkopieren denn selber erlernt?
Auch damals waren wir nicht automatisch auf die ambulante Tätigkeit vorbereitet. Von Hormontherapie zum Beispiel hatte ich keine Ahnung, als ich in der Praxis anfing. Heute nimmt das einen großen Teil meiner Arbeit als niedergelassene Gynäkologin ein. Die jüngere Arztgeneration sollte diese Therapie beherrschen, die sie nur in der ambulanten Weiterbildung erlernen kann.
Seit Jahren wird ein immer größerer Teil der medizinischen Versorgung aus Kostengründen von stationär nach ambulant verlagert. Das hat Folgen. Insbesondere in den grundversorgenden Facharztrichtungen wird ein erheblicher Teil der Weiterbildungsinhalte stationär nicht mehr vermittelt. Vielfach kann er gar nicht mehr vermittelt werden, weil bestimmte Methoden nicht mehr in der Klinik angewendet werden.
Je länger der Trend anhält, umso ausgeprägter wird dieser Effekt. Inzwischen werden in den Kliniken Weiterbilder eingesetzt, die ihre Weiterbildung unter genau diesen Bedingungen gemacht haben. So „vererbt“ sich das Weiterbildungsdefizit.
Es ist an der Zeit, dass die ambulante Weiterbildung auch für Fachärzte verpflichtend wird.
Die Weiterzubildenden genauso wie die Weiterbilder brauchen inhaltliche und organisatorische Unterstützung. Nötig ist ein verpflichtendes Curriculum für die ambulante Weiterbildung inklusive neuer Finanzierungsmodelle. Denn die Finanzierung der Weiterbildung kann nicht auf den Schultern der Ärzteschaft alleine lasten. Wir niedergelassene Ärzte bzw. unsere Selbstverwaltung haben einen Versorgungsauftrag. Dass wir nachfolgende Ärztegenerationen aus- und weiterbilden, ist aber eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.
Ich als niedergelassene Ärztin bilde gerne junge Kolleginnen und Kollegen weiter. Ich freue mich, wenn diese jungen Ärzte sich dann, wie ich, für die Niederlassung entscheiden und eine qualitativ hochwertige haus- und fachärztliche Versorgung der Bevölkerung sichern. So finden meine Kollegen und ich hoffentlich auch Nachfolger für unsere Praxen.
Wie haben Sie Ihre eigene Weiterbildung erlebt? Ich freue mich auf Ihre Kommentare!
Dr. Christiane Wessel ist niedergelassene Fachärztin für Frauenheilkunde und Geburtshilfe in Berlin Friedrichshain-Kreuzberg. Im September 2017 übernahm sie den Vorsitz der Landesgruppe Berlin/Brandenburg des NAV-Virchow-Bundes. Sie ist außerdem Vorsitzende der Vertreterversammlung der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Berlin.