Neues Spiel, neues Glück für Versandapotheken: Der Europäische Gerichtshof (EuGH) entscheidet demnächst, ob Rabatte auf verschreibungspflichtige Präparate vielleicht doch legitim sind. Generalanwalt Maciej Szpunar sprach schon jetzt Klartext.
Eine Zeitreise in das Jahr 2009. Der Arzneimittelversender DocMorris musste vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) eine schwere Niederlage einstecken. Laut Generalanwalt Yves Bot sei das deutsche Fremdbesitzverbot „mit europäischem Recht vereinbar“. Nationale Vorschriften würden eine angemessene Arzneimittelversorgung der Bevölkerung gewährleisteten und seien somit berechtigt, argumentierte Bot. Diese unverbindliche Einschätzung übernahmen Richter später in ihre Urteile (Aktenzeichen: C-171/07 und C-172/07). Jetzt blickt die berufspolitische Welt erneut nach Luxemburg, denn DocMorris lässt nicht locker. „Unser Geschäftsmodell stand durch den Widerstand der Apotheker zunächst auf sehr wackeligen Beinen“, sagt CEO Olaf Heinrich per Videobotschaft. „Aber das hat uns nicht abgeschreckt – ganz im Gegenteil.“
Er setzte auf Kooperationen mit der Deutschen Parkinson Vereinigung (DPV). Die Wettbewerbszentrale wurde umgehend aktiv und kritisierte, DPV-Vorstände würden auf der Website für gesetzeswidrige Rx-Boni werben. DocMorris versprach Neukunden einmalig 5,00 Euro und Folgekunden 2,50 Euro, sollten sie bestimmte verschreibungspflichtige Medikamente ordern. Als weitere Vergünstigung kamen 0,5 Prozent des Medikamentenwerts hinzu. Darin sahen Wettbewerbshüter einen Verstoß gegen Paragraph 78 Absatz 1 Arzneimittelgesetz (AMG).
Der vermeintliche Routinefall landete in zweiter Instanz vor dem Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf. Schließlich hatten sich sowohl ein gemeinsamer Senat der obersten Bundesgerichte (Az.: GmS-OGB 1/10) als auch der Bundesgerichtshof (Az.: I ZR 79/10) klar zur deutschen Preisbindung bekannt. Richter am OLG äußerten jedoch Bedenken: „Die Europäische Kommission hat gegen die Bundesrepublik Deutschland aufgrund dieser Preisbindungsregelungen ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet", gaben sie zu bedenken. Kommissionsmitglieder vertreten die Auffassung, die Preisbindung bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln behindere den freien Warenverkehr, wie im Artikel 34 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) definiert. Sie sehen deutsche Regularien auch nicht durch Artikel 36 AEUV, sprich durch erforderliche Maßnahmen zum Schutz der Gesundheit, gerechtfertigt. Angesichts der komplexen Materie beschlossen Richter aus Düsseldorf deshalb, grundsätzliche Fragen vom EuGH klären zu lassen (Az.: I-20 U 149/13).
Generalanwalt Maciej Szpunar. Foto: Twitter Jetzt sorgt Generalanwalt Maciej Szpunar für unliebsame Überraschungen. In seinem Schlussantrag sieht er Widersprüche zwischen den Artikeln 34 beziehungsweise 36 AEUV einerseits und dem Paragraphen 78 Arzneimittelgesetz (AMG) beziehungsweise der Arzneimittelpreisverordnung andererseits. Szpunar widerspricht Experten, die auf Rechte einzelner Mitgliedsstaaten pochen. Er schreibt, bei der Preisbindung handele es sich um einen „nicht gerechtfertigten Verstoß gegen die Warenverkehrsfreiheit“ zum Nachteil ausländischer Versandapotheken. Ihnen werde durch deutsche Regelungen der Marktzugang weitgehend versperrt. Szpunar kann sich aber vorstellen, Höchstpreise für Rx-Präparate festzulegen. Mit seiner Einschätzung stellt sich der Generalanwalt weitgehend hinter Kollegen aus Düsseldorf. Urteile des Gemeinsamen Senats und des Bundesgerichtshofs lässt er außen vor – genauso wie Argumente der Bundesregierung. Politiker hatten bei einer Anhörung am 17. März vor allem mit der Preisbindung als Instrument zur Sicherung der flächendeckenden Versorgung argumentiert. Szpunar zufolge gebe es aber keine Hinweise. Tatsächlich ist die Datenlage äußerst dürftig.
Dazu einige Zahlen von IMS Health zu 2015. „Für das gesamte Kalenderjahr verzeichnet der Versandhandel ein Mengenwachstum im mittleren einstelligen Bereich (plus 5 Prozent), das sich dem Zuwachs bei OTC-Arzneimitteln (plus 9 Prozent) verdankt. Rx-Präparate verlieren über den elektronischen Bestellweg um 7 Prozent“, schreibt der Dienstleister. Ähnlich sehen Trends beim OTC-Absatz (plus 7 Prozent) und beim Rx-Absatz (minus 14 Prozent) aus. Als Grund nennt IMS Health „fehlende Kaufanreize“ im Bereich verschreibungspflichtiger Präparate. Umsatz des Versandhandels in 2015. Quelle: IMS Health Verlieren Apotheken ärztliche Rezepte als tragende Säule, hat das verheerende Konsequenzen. Laut ABDA-Zahlen entfallen 83,3 Prozent des Umsatzes auf verschreibungspflichtige und 9,4 Prozent auf apothekenpflichtige, nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel. Hinzu kommen freiverkäufliche Präparate (0,6 Prozent) und Artikel des apothekenüblichen Ergänzungssortiments (6,7 Prozent). Doch wie stark wäre der Einbruch durch Rx-Boni tatsächlich? Einer repräsentativen Meinungsumfrage des Deutschen Gesundheitsmonitors zufolge schätzen 93 Prozent aller Bürger die fachliche Kompetenz von Apothekern, und 75 Prozent legen Wert auf Wohnortnähe. Vergünstigungen waren nur 29 Prozent aller Interviewten wichtig. Kunden bleiben ein Buch mit sieben Siegeln.
Jetzt warten Apotheker gespannt auf das EuGH-Urteil in der zweiten Jahreshälfte. Maciej Szpunars Schlussantrag ist nicht bindend, sondern lediglich ein Vorschlag.