Hamburg-Billstedt und Horn sind Problembezirke: überdurchschnittlich viele Sozialhilfeempfänger, Migranten und Alleinerziehende. Menschen, die statistisch früher krank werden und dem Gesundheitssystem hilflos gegenüberstehen. Ein Modellprojekt hilft ihnen – und den überlasteten Ärzten.
Der deutschlandweit erste „Gesundheitskiosk" hat jetzt in Hamburg-Billstedt (Möllner Landstraße 18) eröffnet. Sechs Mitarbeiter beraten dort von Montag bis Samstag kostenlos Patienten und weisen ihnen den Weg durch Behandlungen, Reha und Pflege.
Und das leicht verständlich und in 9 Sprachen: Deutsch, Türkisch, Russisch, Polnisch, Spanisch, Englisch, Portugiesisch, Dari und Farsi. Denn gerade Sprachschwierigkeiten führen zu Informationsdefiziten in Sachen Gesundheitsförderung und Prävention bei vielen Billstedtern. Die Folge: sie sind häufiger und schwerer krank. Laut AOK Rheinland/Hamburg ist es erwiesen, dass Menschen in ärmeren Stadtteilen rund zehn Jahre früher an Diabetes, Asthma, Herz- oder Lungenleiden erkranken.
Gleichzeitig sind Ärzte in Billstedt und Horn rar. Da es dort kaum Privatpatienten gibt, rechnet sich der Praxisstandort für viele nicht. Die wenigen verbleibenden Arztpraxen quellen über; die Zeit für beratende Patientengespräche fehlt.
Der Gesundheitskiosk soll allen helfen: Den Bewohnern, die sich nun niedrigschwellig über alle Gesundheitsthemen von Rauchentwöhnung bis Pflegehilfe informieren können, und die Beratung vor oder nach dem Termin beim Arzt und im Krankenhaus erhalten. Den Ärzten und Kliniken, die unter dem Druck der Patienten leiden und die vor Sprachbarrieren kapitulieren. Und den Krankenkassen, die lieber in Präventionsprogramme investieren wollen als in die Behandlung chronischer Erkrankungen wie Diabetes.
Vom Innovationsfonds gefördert
Der Gesundheitskiosk ist nur eine Maßnahme eines groß angelegten Projekts: Die Gesundheitsversorgung in Billstedt und Horn soll neu organisiert werden, der öffentliche Gesundheitsdienst integriert und der medizinische und soziale Sektor vernetzt. Nach dem Modell „Gesundes Kinzigtal", das die Versorgung im ländlichen Raum verbessert, ist „Gesundheit für Billstedt/Horn" nun das erste Projekt für einen benachteiligten Stadtbezirk. Es wird mit 6,3 Millionen Euro vom Innovationsfonds gefördert.
2016 gründete der NAV Virchow-Bund gemeinsam mit der OptiMedis AG, dem Ärztenetz Billstedt-Horn e. V. und der SKH Stadtteilklinik Hamburg GmbH die Gesundheit für Billstedt/Horn UG. Konsortialpartner sind die AOK Rheinland/Hamburg und die BARMER GEK, das Institut für Allgemeinmedizin am Universitätsklinikum Eppendorf und das Digital Health-Unternehmen connected-health.eu GmbH.
Das Projekt wird durch das Hamburg Center for Health Economics (HCHE) an der Universität Hamburg unter Leitung von Prof. Dr. Jonas Schreyögg wissenschaftlich begleitet, um die Übertragbarkeit zu evaluieren. Zahlreiche weitere Kooperationspartner aus dem Gesundheits-, Sozial- und Bildungssektor, unter anderem die Arbeiterwohlfahrt, sowie die kommunale Verwaltung wollen „Gesundheit für Billstedt/Horn" in den kommenden Jahren unterstützen.
Vorbild Finnland
Pate für die Idee des Gesundheitskioskes stand Finnland mit seinen „Terveyskioski". Auch in den USA gibt es in manchen Supermärkten, Malls und Drogerien solche medizinischen Beratungsangebote.
Hier geht's zur Facebook-Seite des Gesundheitskiosks: https://www.facebook.com/Gesundheitskiosk/