Sprechen Patienten mit Migräne schlecht auf NSAIDs oder Triptane an, sah es bislang eher düster aus. Künftig stehen Neurologen Antikörper zur Verfügung. In Europa ist bereits das zweite Molekül kurz vor der Zulassung, und ein drittes wird bald folgen.
Etwa acht Millionen Menschen leiden in Deutschland unter Migräne. Was bei der Erkrankung tatsächlich passiert, ist nach wie vor unklar. Neurologen haben u.a. die vaskuläre Hypothese entwickelt: Blutgefäße erweitern sich und sorgen für Beschwerden. Bei der Übererregbarkeitshypothese soll es im Gehirn zu Depolarisationen, also zum Abbau von Membranpotenzialen kommen. Und die Hypothese neurogener Entzündungen beruht auf der Tatsache, dass beim Migräneanfall entzündungsvermittelte Botenstoffe nachweisbar sind. Dazu gehört das Calcitonin Gene-Related Peptide (CGRP), ein Neuropeptid mit bislang nicht vollständig untersuchten Eigenschaften. Bekannt ist seine gefäßerweiternde Wirkung. Es kommt in zwei ähnlichen Formen, nämlich α-CGRP und β-CGRP, vor.
Deutliche Verringerung der Krankheitstage
Wie DocCheck berichtet hat, gehören monoklonale Antikörper, die gegen CGRP oder seinen Rezeptor eingesetzt werden, zu den neuesten Strategien der Migränetherapie. Bereits im Juli erhielt Erenumab (Aimovig®) von Novartis bzw. Amgen eine Zulassung der European Medicines Agency (EMA). Am 20. September hat der zuständige Ausschuss für Humanarzneimittel auch ein positives Votum zu Eli Lillys Wirkstoff Galcanezumab (Emgality®) abgegeben. Basis sind die Phase-III-Studien Evolve-1, Evolve-2, und Regaine.
Der Hersteller hat insgesamt 1.780 Patienten mit episodischer und 1.117 Patienten mit chronischer Migräne eingeschlossen. Nach sechs Monaten verringerten sich die Krankheitstage bei episodischer Migräne um 1,9 Tage pro Monat. Bei chronischer Migräne waren es zwei Tage weniger pro Monat. Als Vergleich dienten Placebos. Die EMA nennt als wichtigste Nebenwirkungen Schmerzen und Reaktionen an der Injektionsstelle. Schwindel und Obstipation kamen hinzu. Beide Antikörper unterscheiden sich vor allem auf molekularer Ebene: Während Galcanezumab direkt das Calcitonin Gene-Related Peptide abfängt, inaktiviert Erenumab den zugehörigen Rezeptor.
In Europa könnte Fremanezumab (Ajovy®) bald folgen. Teva hat bereits eine FDA-Zulassung erhalten und Dokumente bei der EMA eingereicht. Der Antikörper richtet sich ebenfalls gegen CGRP, hat aber eine Besonderheit. Laut Hersteller sind deutlich seltenere Injektionen, nämlich einmal pro Quartal statt einmal pro Monat, erforderlich.
Trotz aller Euphorie hat die Behandlung mit Antikörpern gegen CGRP oder gegen dessen Rezeptoren mehrere Einschränkungen. Langzeitdaten gibt es im Unterschied zu NSAIDs oder Triptanen nicht. Auch die Anwendung – Proteine müssen gespritzt werden – ist selbst mit Autoinjektoren schwieriger. Nicht zuletzt werden deutlich höhere Kosten die Verwendung einschränken, wie ein Blick auf die USA zeigt.
Ein veritabler Markt
„Business Insider“ rechnet mit Therapiekosten von knapp 7.000 US-Dollar pro Jahr im amerikanischen Markt. Jedes Unternehmen erwartet vom eigenen Präpat, ein Blockbuster zu werden. Erenumab könnte bis 2022 zu insgesamt einer Milliarde Dollar Umsatz führen – und prompt gerieten sich Hersteller in die Haare.
Alder BioPharmaceuticals versuchte Tevas Patent 1957106 B1 zu blockieren. Eptinezumab aus Alders Pipeline hat ähnliche Wirkmechanismen wie Fremanezumab. Beide Antikörper inaktivieren α-CGRP und β-CGRP. Schließlich einigten sich beide Seiten auf einen Deal. Alder zieht seine beim Europäischen Patentamt eingereichte Beschwerde zurück, entwickelt und vermarktet Eptinezumab. Im Gegenzug verpflichtet sich Alder zu Zahlungen im dreistelligen Millionenbereich an Teva, die an bestimmte Bedingungen und Ereignisse gekoppelt sind. Der Kuchen scheint groß genug für alle zu sein.