Gestern stimmte der Rechtsausschuss des EU-Parlaments für die umstrittene Urheberrechtsreform. Uploadfilter und das Leistungsschutzrecht könnten also bald das Internet revolutionieren – auf ungute Weise. Düstere Zeiten für die Informationsfreiheit?
Kaum hat sich die Aufregung um die DSGVO etwas gelegt, hält die EU schon die nächste Überraschung für uns bereit. Gestern stimmte der Rechtsausschuss des EU-Parlaments mehrheitlich für die umstrittene Urheberrechtsreform. Sie enthält insbesondere für Online-Plattformen wie DocCheck zwei ganz besondere Schmankerl, die uns in Zukunft das Leben schwer machen könnten. Es geht um Artikel 11 und 13 der Reform: um das Leistungsschutzrecht und den Uploadfilter. Das Leistungsschutzrecht (LSR), hierzulande schon längst als Zombie-Gesetz verschrien, existiert in Deutschland bereits seit 2013, ohne dass man so richtig etwas davon mitbekommen hat. Zum Hintergrund: Die großen Verlagshäuser, allen voran der Axel Springer Verlag, hatten mit Sorge beobachtet, dass Anzeigenkunden ihr Geld immer häufiger bei den Suchmaschinen ließen, statt ihre Anzeigen direkt in Zeitungen und auf Online-Portalen zu schalten. Dem wollte man etwas entgegensetzen. Also versuchte man, den Verlagen einen Anteil der Werbeeinnahmen zurückzuspielen, indem man die Verwendung ihrer Inhalte, auch kleinerer Textmengen, lizenzpflichtig machte. So sollte es den Verlagen möglich sein, für die Verwendung von Überschriften, Links und Vorschautexten, wie sie bei News-Aggregatoren (z. B.„Google News“) oder auf Social-Media-Plattformen auftauchen, Geld einzustreichen.
Schließlich konnte sich diese sogenannte „Google-Steuer“ aber niemals so richtig durchsetzen. Zu groß war die Angst der Verlage, man könne von Google schlicht ausgelistet werden und folglich weder Klicks noch Geld erhalten. Dementsprechend gering fielen auch die erwirtschafteten Umsätze aus: „In fünf Jahren LSR betrug die Gesamtsumme des von Google an deutsche Verlage überwiesenen Geldes null Euro“, schreibt Sachsa Lobo in seiner Kolumne auf Spiegel Online. Mit einem ähnlichen Gesetz hat auch Spanien schon seine Erfahrungen gemacht. Die Konsequenz dort: Google News hatte seinen Dienst einfach gänzlich eingestellt. Unter dem Gesetz litten – wie so häufig – natürlich nur die kleineren Verlage. Obwohl nun gewissermaßen empirisch belegt ist, dass von diesem Gesetz nichts Gutes kommen kann, hält man es in Brüssel scheinbar für eine gute Idee, ein Leistungsschutzrecht nach deutschem Vorbild zu schaffen. Verhandlungsführer ist dabei Axel Voss (CDU), er betreut das Vermächtnis von Günther Oettinger, der bereits 2016 seinen Entwurf für die EU-Urheberrechtsreform vorlegte. Was geschieht mit der Wissenschaft? Besonders bedenklich ist hierbei, dass im schlimmsten Fall auch das Nennen einer Überschrift oder eines Titels in Kombination mit einer Verlinkung lizenzpflichtig werden könnte. Wenn keiner mehr weiß, in welcher Form das Einbinden von Referenzen und Zitaten in die eigenen Texten erlaubt ist, ohne dabei gegen das Leistungsschutzrecht zu verstoßen, würde das eine massive Verunsicherung für die akademische Welt mit sich bringen und somit die Grundfesten des wissenschaftlichen Arbeitens ins Wanken bringen. Auch die Arbeit der Blogger wird zunehmend erschwert. Nachdem die ersten anonym bloggenden Mediziner ihren Betrieb schon auf Grund der DSGVO teilweise eingestellt haben, wird ihre Motivation durch ein derart restriktives Urheberrrecht wohl kaum zurückkehren. Wie so ein Gesetz im Detail aussehen wird und welche Folgen es in der Praxis hätte, weiß zur Zeit natürlich noch niemand genau. Man stelle sich aber mal folgendes Szenario vor: Ein Arzt hält im Rahmen eines Kongresses eine Präsentation. In dieser Präsentation zitiert er aus einer Studie, baut einen Screenshot der Veröffentlichung ein und verlinkt schließlich als Quellenangabe auf beispielsweise Springer Nature. Wie üblich wird die Präsentation auf der Website des Kongresses veröffentlicht. Läge hier womöglich bereits eine Urheberrechtsverletzung vor? Wie viel Textschnipsel ist ein Schipsel zu viel?
Und damit nicht genug. Auch für den Uploadfilter hat der Rechtsausschuss gestimmt. Demnach müssen Plattformen schon während des Hochladens prüfen, ob Inhalte womöglich urheberrechtlich geschützt sein könnten. Liegt eine Urheberrechtsverletzung vor, muss der Upload gestoppt werden. Es reicht nicht mehr nur aus, Inhalte nach einem entsprechenden Hinweis zu entfernen. Bei den immensen Mengen an Content wird es vor allem für große Plattformen wohl kaum möglich sein, die Inhalte menschlich überprüfen zu lassen. Was passiert, wenn automatische Filter entscheiden, welche Inhalte hochgeladen werden dürfen und welche eine „Urheberrechtsverletzung“ darstellen, kann sich jeder vorstellen. So stellt sich beispielsweise die Frage, wie ein programmierter Filter zwischen Satire und Urheberrechtsverletzung unterscheiden können soll. Nicht umsonst also werden die Upload-Filter von Kritikern als „Zensurmaschine“ bezeichnet. Obwohl vielfach argumentiert wurde, derartige Gesetze, insbesondere das LSR, seien notwendig, um den Qualitätsjournalismus zu sichern und eine „freie und unabhängige Presse“ zu erhalten, geschieht wohl genau das Gegenteil: Insbesondere für einen seriösen Wissenschaftsjournalismus ist unabdingbar, Studiennamen zu nennen und diese zu verlinken. Wenn nun aber schon das Verlinken in einer rechtliche Grauzone landet und Quellen aus Angst vor der „Link-Steuer“ einfach nicht mehr angegeben werden – führt das nicht unweigerlich zu einem sehr oberflächlichen Journalismus? Zu fehlenden Belegen? Zu geistlosen Diskussionen, in denen jeder Behauptungen verbreiten kann, weil das Nennen der Quelle ja sowieso verboten ist? Das Internet würde so zu einem engeren, kleineren Ort, in dem die Nutzer in ständiger Angst leben, sich strafbar zu machen.
Fest steht zumindest für uns: Das Zitieren, Verlinken und Erwähnen der DocCheck-Inhalte wird kostenlos bleiben. Aber auch wenn das gestrige Votum ein düsterer Vorbote sein könnte, ist zum Glück noch nichts in Stein gemeißelt. Anfang Juli wird im Plenum über die Vorlage des Rechtsausschusses entschieden. Vielleicht haben wir also noch eine Chance. Petitionen gibt es genug. Betrachtet man die Ereignisse des gestrigen Tages genauer, so muss man sich wirklich über einiges wundern. Zu erwähnen wäre da beispielsweise eine von der EU-Kommission in Auftrag gegebene Untersuchung, die dem Leistungsschutzrecht laut Zeit Online seine Nutzlosigkeit bescheinigt. Die Ergebnisse werden aber unter Verschluss gehalten, wohl weil sie nicht zur eigenen Linie passen. Abschließend bleibt vielleicht noch zu sagen: Wer Memes wie Voss als „kulturelle Kriminalität“ bezeichnet, versteht wohl weder etwas von Kultur noch vom Internet.