Dieser brandaktuellen Frage gingen Gesundheitsexperten anlässlich der Präsentation des Buches „Gesundheit 2016“ am 10. Jänner 2017 nach.
Die Diskussion stand ganz im Zeichen aktueller Debatten unter dem Titel „Gesundheit für alle?! Ist die optimale medizinische Versorgung (auch) in Zukunft gesichert?“. Die Herausgeber Sanofi Österreich, Wirtschaftskammer Österreich und DER STANDARD präsentierten das Jahrbuch für Gesundheitspolitik und Gesundheitswirtschaft bereits zum achten Mal.
Unter der Moderation des STANDARD diskutierten Dr. Gerald Bachinger, Sprecher der österreichischen Patientenanwälte, Mag. Sylvia Hofinger, Geschäftsführerin des Fachverbands der chemischen Industrie Österreich, Univ.-Prof. Dr. Anita Rieder, Leiterin des Zentrums für Public Health und Vizerektorin für Lehre an der MedUni Wien, Dr. Bernhard Rupp, Gesundheitsökonom und Leiter der Abteilung Gesundheitswesen der Arbeiterkammer Niederösterreich, Dr. Lukas Stärker, Kammeramtsdirektor der österreichischen Ärztekammer, und Mag. Bernhard Wurzer, Generaldirektor- Stellvertreter im Hauptverband der Sozialversicherungsträger.
V. l. n. r.: Bernhard Rupp, Bernhard Wurzer, Sylvia Hofinger, Sabine Radl, Anita Rieder, Martin Gleitsmann, Lukas Stärker, Gerald Bachinger © Sanofi/ Christian Husar
2016 im Rückblick
Die Diskussionsteilnehmer beleuchteten zu Beginn Neuerungen im Gesundheitswesen aus unterschiedlichen Perspektiven. So sah Gerald Bachinger besonders mit der Verabschiedung der neuen Zielsteuerung mit Dezember 2016 einen neuen Stellenwert für den Patienten innerhalb des Gesundheitssystems.
Weiters zeigte er sich zufrieden mit der „ELGA Diffundierung“ im vergangenen Jahr. Bernhard Wurzer fügte dem hinzu, dass vor allem die neu abgeschlossenen Zielsteuerungsvereinbarungen „die Systemplayer näher zusammenrücken ließen und eine verbindlichere Planung geschaffen werden konnte“.
Aus Sicht der Ärzte waren vor allem die Umsetzung der neuen Ärzteausbildung und die Erweiterungen der delegierbaren Tätigkeiten gegenüber dem Krankenpflegepersonal positive Neuerungen im Jahr 2016. Auch könne man laut Anita Rieder stolz auf die hohe Qualität der
Ausbildung der Medizinstudierenden in Österreich wie auch jene an der MedUni Wien sein. „Zudem“, unterstrich sie, „haben wir an den öffentlichen MedUnis in Österreich eine der höchsten Absolventenquoten im universitären Bereich, auch im europäischen Vergleich.“
Aus Sicht der Pharmawirtschaft standen 2016 ganz klar die Diskussionen um die Rahmenbedingungen für die Erstattung im Vordergrund. So haben die Solidaritätszahlungen der pharmazeutischen Industrie mit Ende des Jahres eine sehr positive Gebarung der Sozialversicherung ermöglicht. Auch erwartet sich Sylvia Hofinger viel von der 2016 erfolgten Fertigstellung der Zukunftsstrategie „Life Sciences und Pharmastandort Österreich“ des Wirtschaftsministeriums.
Die Speisekarte ist nicht das Essen
Als Gesundheitsökonom zog Bernhard Rupp folgende Bilanz hinsichtlich 2016: „In Österreich hat man wirklich seit Jahrzehnten gute Ideen, aber niemand schaut, wie die Erfolgsbilanz aussieht.“ Die Gesundheitsreform sieht Rupp mit „gemischten Gefühlen“, ortet aber einige gute Reformideen.
Diese vergleicht Rupp mit einer Wirtin, die für ihr Gasthaus eine tolle Speisekarte schreibt und diese dann mit dem eigentlichen Essen verwechselt. Übergeordnetes Ziel sollte es sein, möglichst viele Menschen möglichst lange gesund zu erhalten. Auch Pilotprojekte wie jenes der MedUni Wien zur Verringerung der Gebrechlichkeit älterer Menschen seien eine Möglichkeit der Prävention. Dem pflichtete Bernhard Wurzer bei: „Wir müssen zukünftig in der Sozialversicherung den Mut haben, neue Dinge zu probieren, aber auch den Mut anzuerkennen, wenn diese nicht funktionieren.“ Denn er erachtet auch die Erwartungshaltung der Gesellschaft gegenüber der Sozialversicherung als verändert.
„Wir können den Patienten nicht mehr nur als Patienten sehen, sondern auch als Kunden, dem wir individuelle Serviceleistungen anbieten müssen, und das bei gleichbleibenden Ressourcen“. Bernhard Rupp betonte: „Der Zugang der Patienten zu innovativen Arzneimitteln muss in unserem Land gesichert bleiben.“
Ressourcen vernünftig einsetzen
Um sich der Frage zu nähern, ob die optimale medizinische Versorgung (auch) in den kommenden Jahren für alle gesichert ist, blickten die Diskutanten anschließend in die Zukunft. Dazu Rupp: „Ich wünsche mir für 2016 und die Folgejahre, dass man die volkswirtschaftliche Perspektive in Planungsmaßnahmen miteinbezieht.“ „Damit uns künftig das hohe Niveau der Versorgung auch erhalten bleibt, braucht die Industrie planbare Rahmenbedingungen“, ergänzte Hofinger die Sicht der Pharmaindustrie. Für die Ärzte sei in Zukunft eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen und - Strukturen erforderlich, warf Lukas Stärker ein. Menschliche und finanzielle Ressourcen müssen schonend und an der richtigen Stelle eingesetzt werden. Alle Teilnehmer der Podiumsdiskussion waren sich einig, dass man mit den vorhandenen Mitteln verantwortungsvoll und effizient umgehen
müsse. „Das liebe Geld“ erwähnte auch Bernhard Wurzer aus Sicht der Sozialversicherung: „Wir haben in Österreich ein sehr teures System, für dessen Löwenanteil Dienstgeber und Dienstnehmer aufkommen. Wir sind den Beitragszahlern zu einem vernünftigen und effizienten Mitteleinsatz verpflichtet.“
Bernhard Rupp und Gerald Bachinger betonten abschließend zum einen, dass es dringend notwendig sei, über die langfristige Ressourcenverteilung zu diskutieren und sich international an innovativen Versorgungskonzepten zu orientieren.
Hinter verschlossenen Türen
Gerald Bachinger fügte hinzu, dass wesentliche Entscheidungen immer mehr hinter verschlossenen Türen stattfänden. In Zukunft würde mehr Transparenz auch das Miteinander und das „Ziehen an einem Strang“ fördern. Dr. Martin Gleitsmann, Leiter der sozialpolitischen Abteilung der WKÖ, zog nach der Diskussion Bilanz:
Zu Jahresbeginn wäre positives Denken angesagt, das Glas sei im Gesundheitswesen halbvoll und nicht halbleer. Er stellte fest, dass Österreich in Sachen Gesundheit Ankündigungsriese und Umsetzungszwerg sei. Diese Tendenz müsse umgekehrt werden.
Mag. Sabine Radl, Geschäftsführerin von Sanofi Österreich und Herausgeberin des Jahrbuchs, erklärte: „Eine transparente und ehrliche Kommunikation aller am Gesundheitssystem beteiligten Akteure trägt maßgeblich dazu bei, gemeinsam an einem zukunftsfähigen, tragfähigen und nachhaltigen Gesundheitssystem zu arbeiten, das den Patienten in den Mittelpunkt stellt.“
Das Jahrbuch für Gesundheitspolitik und Gesundheitswirtschaft kann kostenlos unter www.gesundheitspolitik2016.at bestellt werden. Solange der Vorrat reicht.